Bericht vom Medienhistorischen Forum 2017

Am 10. Und 11. November 2017 fand in der Lutherstadt Wittenberg wieder das Medienhistorische Forum statt. Gemeinsam mit dem Nachwuchsforum Kommunikationsgeschichte der DGPuK bot der Studienkreis Rundfunk und Geschichte jüngeren Wissenschaftler/innen Gelegenheit, über ihre Forschungsthemen aus der Kommunikations- und Mediengeschichte zu sprechen und sich institutionell zu vernetzen.

Knapp 20 Teilnehmer/innen aus Wissenschaft und Praxis diskutierten über Fragestellungen, Probleme und Methoden geplanter oder laufender Forschungsprojekte. Veit Scheller, Leiter des ZDF-Unternehmensarchivs und Vorstandsmitglied im Studienkreis, lieferte in seinem Abendvortrag spannende Hintergrundinformationen zur Aufgabe und Ausrichtung eines der wichtigsten audiovisuellen Medienarchive in Deutschland. Themen waren digitale Produktion, Umgang mit Metadaten aus Archivdatenbanken und die heutige Handhabung von Datenströmen und Speicherkapazitäten. Mit Blick auf das noch immer recht enge Korsett, in das Wissenschaftler/innen bei der Nutzung öffentlich-rechtlicher Senderarchive aus Gründen des Urheberrechts, geltender Produktionsverträge und Persönlichkeitsrechte gepresst sind, sprach sich Scheller für die Formulierung eines neuen Nutzungsrechts aus, bei dem die heutigen exorbitant langen Schutzrechte so modifiziert und verkürzt werden, dass dadurch der Archivzugang für  die medienwissenschaftliche und zeithistorische Forschung deutlich erleichtert werden könnte. Ideen und Ansätze dazu gäbe es.

Den Auftakt der Projektvorträge machte Niklas Venema (Berlin), der seine Doktorarbeit an der Freien Universität Berlin über die „Geschichte des Volontariats in Deutschland von 1900 bis heute“ schreibt. Venema will herausfinden, wie sich die journalistische Ausbildung im Spannungsfeld beruflicher Traditionen, Autonomieansprüche und Akademisierung entwickelt hat. Dazu will er Autobiographien, Unterlagen aus Redaktions- und Verlagsarchiven, statistische Daten und Beiträge der Berufsverbände heranziehen.

„Diskursive Konstruktionen von Emil Dovivat am Institut für Publizistik (- und Kommunikationswissenschaft) an der Freien Universität Berlin“ interessieren Juliane Pfeiffer (Leipzig). Mit einer Diskursanalyse möchte sich Pfeiffer dem historischen Bild des „Nestors der Zeitungswissenschaft“ und dessen Konjunkturen am Institut für Publizistik nähern, um den Umgang der Kommunikationswissenschaft mit deren „Vorgeschichte“ in der NS-Zeit zu konturieren. Der Höhepunkt der Auseinandersetzung um Dovivat und sein Verhalten im Nationalsozialismus liegt schon zwei Jahrzehnte zurück. Die Debatte um Kontinuitäten nach 1945 scheint sich seitdem beruhigt zu haben – allerdings zeigte sich in der nachfolgenden Diskussion, wie eng das Fach noch immer an die Arbeiten Dovivats und dessen „Nachfolger“ (B. Sösemann) anschließt.

Theo Müller (Paris) untersucht in seiner Arbeit den „Presseausweis als Distinktionsmerkmal im französischen und deutschen Journalismus“ und zeigte schon im Vortrag, wie verschieden die journalistischen Kulturen beider Nachbarländer bis heute sind. So entscheidet der in Frankreich ungleich komplizierter zu bekommende Pressausweis faktisch, wer sich als professioneller Journalist betätigen darf – und wer nicht. Indem Müller nach den historischen Umständen fragt, möchte er auch einen vergleichenden Blick auf die neuere journalistische Praxis werfen und herausfinden, ob dem Presseausweis als Distinktionsmerkmal in digitalen Zeiten vielleicht sogar eine Aufwertung bevorsteht.

Jeder, der sich im Hörfunk oder im Film mit Ortsaufnahmen beschäftigt, kennt sie, die „Atmo“. Fritz Schlüter (Potsdam) will unter diesem Titel in einer medienwissenschaftlichen Dissertation untersuchen, was diese Art der Raum- oder Außenaufnahmen in ihrer Mischung aus Zufälligkeit und Signifikanz auszeichnet und welche Funktionen Atmo in akustischen Medien spielt. Dabei will er einen Ansatz zur Geschichte, Ästhetik, Medialität und Funktion entwickeln, der die Affekt- und Bedeutungsebene solcher alltäglich gebrauchter Klänge gleichermaßen beleuchtet.

Stephan Summers (Mainz) wiederum interessiert sich für das Verhältnis „Musik – Programm – Politik“ bei den Sendern der amerikanischen Besatzungszone zwischen 1945 und 1949. Wie wurden kulturpolitische Vorstellungen der Amerikaner in Musiksendungen umgesetzt? Wie sah der Neuanfang der Sender Frankfurt, Stuttgart, München, Berlin und Bremen gegenüber der alten NS-Programmpolitik aus und gab es unterschiedliche Strategien in den Funkhäusern? Seinen Untersuchungsschwerpunkt legt Summers dabei auf E-Musik.

Über „Soziales Engagement, Bewegungsnetzwerke und öffentliches ‚Frauenstreben‘“ forscht Désirée Dörner (Augsburg) und erarbeitet eine Art historisches „Bewegungsprofil“ der bayrischen Frauenbewegung um 1900. Ihre Vorrecherchen haben gezeigt, dass eine gute Quellenbasis um den Münchner Verein für Fraueninteressen besteht, die zeigt, wie die Akteurinnen ein publizistisches-institutionelles Netzwerk aufbauten, dessen Erfolg auch in der systematischen Dokumentation seiner eigenen Kommunikationen bestand.

Aus der Perspektive der Radiopraktikerin und Kulturwissenschaftlerin betrachtet Susanne Wegner (Eichstätt) „Narrative Strukturen und Deutungsmuster im Radio am Beispiel der aktuellen Holocaust-Berichterstattung“. Im Vortrag diskutierte sie unterschiedliche Hörzitate aus öffentlich-rechtlichen Tagesprogrammen und fragte nach der Rolle journalistischer Medien bei der Konstruktion kollektiver Erinnerung, vor allem im Hinblick auf akustische Macharten.

Um ein ganz anderes Thema kollektiver Erinnerung geht es Nils Theinert (Berlin), der sich in seiner Masterarbeit an der FU Berlin mit dem so genannten „Hippie Trail“, konkret: „Westliche[n] Alternativtouristen der ‚langen‘ 1960er Jahre im Blick von Fernsehberichten 1970-2008“, beschäftigt, und das Thema zu einer Dissertation auszubauen plant. Das Thema verspricht nicht nur einen Blick auf eine vergessene Ästhetik von Reiseberichten über die Post-68er, sondern auch auf (medien-)politische Formationen des ausgehenden 20. Jahrhunderts.

Kai S. Knörr, Potsdam

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