Rundfunkhistorisches Gespräch mit Gerd Simmank

„Wir hatten immer Sendezeit, wie wir wollten.“

Porträt Gerd Simmank
Gerd Simmank im Interview mit Rüdiger Steinmetz und Judith Kretzschmar.

Lokalfernsehen ist Heimatfernsehen im besten Sinne. Es zeigt regionale Alltagskulturen, ist, um es mit Aleida Assmann zu sagen,1 ein Teil des lokalen medialen, kulturellen Gedächtnisses. So spiegelten auch die lokalen, privaten sächsischen TV-Anbieter seit Anfang der 1990er Jahre Ereignisse, Formen und Transformationen der Alltagskultur. Sie begleiteten den beschleunigten lebensweltlichen Wandel der Vereinigungsphase, wie er in den bundesweiten und öffentlich-rechtlichen Länderanstalten nicht bzw. nicht aus der Perspektive der alltagsweltlichen Basis abgebildet werden konnte. Die Programme waren aufgrund ihrer jeweils eng begrenzten, räumlichen Orientierung näher am lokalen „Zeitgeist“ der Transformation. Sie tragen dadurch heute in herausragender Weise zur Beschreibung und Erforschung der Umwälzungsprozesse des Alltagslebens, der mentalen, politischen, ökonomischen und baulich-strukturellen Veränderungen in der Frühphase der deutsch-deutschen Vereinigung bei. Beachtenswert ist dabei die Vielfalt: Zwischen 1991 und 1999 gab es bis zu 80 Lokalprogramme, allein 1994 waren rund 40 Programme lizenziert, so viele wie in keinem anderen Bundesland. Dies ist nicht nur ein eindrucksvoller Fundus, sondern auch ein Alleinstellungsmerkmal der sächsischen Medienlandschaft.2

Am 19. Juni 2019 interviewten Judith Kretzschmar und Rüdiger Steinmetz in Hohenbocka den evangelischen Pfarrer Gerd Simmank, der von 1991 bis 2009 in der Lausitz den Lokalsender „Laubuscher Heimatkanal“ betrieb.3 Pfarrer Simmank war ein Einzelfall in der entstehenden lokalen Fernsehvielfalt. Er initiierte und realisierte ein Fernsehprogramm, das aktuelle Ereignisse des unmittelbaren Nahraums ungeschnitten abbildete, völlig unformatiert, aber nicht als Verkündigungsprogramm, sondern zur Herstellung von und Beteiligung der Öffentlichkeit, wie es bis 1989 undenkbar war. Zusätzlich strahlte er rund 3.600 Morgenandachten aus.

Das Phänomen des Laubuscher Heimatkanals mit seinem Protagonisten Pfarrer Simmank war in vielerlei Hinsicht einmalig. Daneben gab es jedoch auch andere Macher des Lokalfernsehens in Sachsen, die teilweise aus den seit Mitte der 1980er Jahre entstandenen Satelliten-Antennengemeinschaften von DDR-Bürgern hervorgingen, teilweise aus der Bürgerbewegung, und einige wenige schließlich waren Westdeutsche, die neue Betätigungsfelder suchten. In dieser „wilden“ Übergangsphase 1990 bis 1992 war die rechtliche Basis der neuen Rundfunkveranstalter und ihrer Programme noch weitgehend ungeregelt. Erst Anfang 1992 nahm die Sächsische Landesmedienanstalt (SLM) ihre Arbeit auf und vergab ab Herbst desselben Jahres erste Sendelizenzen.


Es ist sehr schön, dass Sie uns zu diesem Gespräch zur Verfügung stehen und uns Rede und Antwort stehen wollen. Wir fangen mal mit dem Blick von heute in die Vergangenheit an. Wie wirkt für Sie der Laubuscher Heimatkanal bis in die Gegenwart nach? Was bedeutet er für Sie heute noch?

Wir haben ja damals viel zur Zeitgeschichte beigetragen und das natürlich chronologisch aufgezeichnet. Wenn man es im Abstand von fast 30 Jahren sieht, ist man eigentlich erschrocken, welchen Mut man hatte, alles eins zu eins rüberzubringen. Wenn ich so überlege, was heute die großen Sender für Zeitaufwand betreiben, um dann ein paar Sekunden zu senden… Wir haben damals eine Minute aufgezeichnet und haben davon eine Minute ausgestrahlt. Das ist natürlich ein Stück Zeitgeschichte. Man kann es kaum in Worte fassen, was man damals alles so gemacht hat.

Wie ist es zu dem Laubuscher Heimatkanal gekommen? Wie lange haben die Vorbereitungen gedauert? Welche Ideen von Ihnen und vielleicht von anderen lagen zugrunde? Welche Voraussetzungen waren gegeben, welche waren nicht gegeben? Was bedeutete das für die Gemeinde?

Ich war eigentlich schon immer ein Mensch, der technikbesessen ist. Ich habe schon bei meiner ersten Berufsausbildung zum Zimmermann meinen Filmvorführerschein gemacht und habe dann auch schon in der Lehre viele solche Dinge mit Dia-Vorträgen erarbeitet und mit Ton unterlegt. Und dann kam im Studium mal eine Situation: Da war eine große Pressesache auf dem Alexanderplatz in Berlin, und da hatte ich mich sogar beworben, als Sprecher für das DDR-Fernsehen zu arbeiten. Und so kamen eigentlich diese ganzen Dinge, die schon im Vorfeld liefen, ganz gut, als dann in Laubusch die Bagger das Kabel für eine Gemeinschaftsantennenanlage verlegten. Denn Laubusch liegt ja in einem Bereich, wo man schlecht West-Fernsehen, also die ARD, empfangen konnte, ähnlich wie im Raum Dresden. Und so bastelten viele Menschen Antennen auf die Dächer, das sah dann natürlich nicht mehr architektonisch schön aus. Und so gab es dann den Wunsch, eine große Antennengemeinschaft aufzubauen. Und als sie so baggerten, dachte ich, ich habe ja durch meine erste Westreise, die ungefähr acht Wochen vor dem Mauerfall stattfinden konnte, eine VHS-Kamera „M7“ von Panasonic in unserer Partnergemeinde geschenkt bekommen. Und so kam der Gedanke: Kann man das nicht auch nutzen, um etwas in dieses Kabel einzuspeisen?

Das war 1991. Es war ganz frisch nach der Wende. Wir hatten 1990 einen neuen Bürgermeister bekommen, und der war auch Kirchenmitglied. Zu dem hatte ich einen guten Draht und einen guten Kontakt. Und so kam die Frage, ob es nicht möglich ist, die Genehmigung bekommen, in dieses Kabel einzuspeisen und Ereignisse im Ort ein Stück zu verbreiten. Wir bekamen das „Ja“, und der Bürgermeister machte ein Schreiben fertig, dass wir unbegrenzt und kostenlos unsere Sendungen in dieses kommunale Kabel einspeisen dürfen. Ja, und dann kam schon der erste Eklat: Wir nahmen eine Gemeinderatssitzung auf und sendeten das. Aber es war ein unpopulärer Beschluss zur Schließung eines Kindergartens gefasst worden. Wir haben das alles eins zu eins mitgeschnitten, und die Bürger von Laubusch echauffierten sich. Dabei kam die PDS-Riege plötzlich in ein nicht so gutes Licht. Man wollte uns den Garaus machen. Man erstattete Anzeige, und wir bekamen dann mit, dass wir eigentlich ein Piratensender sind. Wir hatten doch gar keine Ahnung, dass wir dafür eine Genehmigung brauchten. In dieser Zeit war gerade Hans-Jochen Vogel4 in Laubusch zu Besuch, zusammen mit der Landtagsabgeordneten Barbara Wittig. Die war in Dresden u.a. zuständig für Medienfragen und sagte: „Gar kein Problem Herr Pfarrer, wir sind gerade dabei, ein Gesetz zu erarbeiten. Stellen Sie einen formlosen Antrag, und dann wird das bestimmt genehmigt.“ Eigentlich haben wir am 1. April 1991 angefangen zu senden und die Sendelizenz als privatrechtliche Rundfunkanstalt erst im September 1992 erworben.5

Wie viele Leute waren dann verkabelt und konnten das Programm sehen, und was bedeutete das dann für die Zuschauer und auch für Ihr Feedback?

Die Zeit war ja mehr oder weniger die Zeit vor der Schließung des Brikett-Werkes. Das heißt, die Einwohnerschaft hatte damals noch 4.000 Bürger gezählt. Das waren unsere Zuschauer, und 4.000 Zuschauer konnten wir damals mit unseren Sendungen erreichen, das waren ungefähr 1.200 Haushalte. Drei Ortsteile in Laubusch waren mit dem Kabel durch eine Kopfstation in der Mitte des Ortes verbunden. Das Feedback war erstmal riesengroß: Sie können sich die Neuigkeit vorstellen, in so einem kleinen Ort wie Laubusch einen eigenen Fernsehkanal zu haben, und dann Leute auf dem Bildschirm zu sehen, denen man am Tag zuvor begegnen konnte oder mit denen man gerade noch gesprochen hatte.

Noch mal weiter bei diesem Feedback, Sie haben es ja gerade angedeutet: Wenn man in diese spektakuläre Gemeinderatssitzung von außen hineingucken und live dabei sein konnte oder zeitversetzt live dabei sein konnte: Was bedeutete das für die Leute, auch für deren Verständnis von Politik?

Es war ein völlig anderes Gebrauchen von Medien. Wir hatten ja in der DDR die Erfolgsmeldung schon immer im Frühjahr, dass die „Ernte zu 100 Prozent eingefahren“ wurde. Es wurden ja fast nur politische und positive Meldungen gebracht. Wir brachten nun das, was real war, weil wir ja auch nicht geschnitten haben. Das, was gesprochen wurde, wurde zu den Bürgern gebracht, und das nahmen die natürlich an und merkten: Die Medien in der Nachwende-Zeit sind eben anders als die Medien, die man in der DDR kannte. Fernsehen war bis dahin Berlin-Adlershof und weiter nichts.

Das haben die Menschen dann auch sofort interessiert und engagiert angenommen und…

… registriert. Nach der ersten Gemeinderatssitzung, die dann diesen Eklat nach sich zog, war es so, dass wir ein Verbot bekamen, während der Sitzung zu filmen. So ergab sich dann die Idee mit dem Bürgermeister und seiner Stellvertreterin, dass wir dann im Studio die jeweilige Gemeinderatssitzung gleich danach im Gespräch nachholten, und die Leute sich dabei mehr oder weniger live in das Programm einwählen und ihre Fragen per Telefon stellen konnten. Das ging dann alles unverändert über den Sender.

Sie haben praktisch im Anschluss an die Gemeinderatssitzung die beiden im Studio gehabt, und dort konnten die Bürger anrufen?

Genau. Wir haben das live ausgestrahlt und dann aber die Aufzeichnung dieser Sendung wiederholt. Denn manch einer war noch in Schichtarbeit tätig und sah sich das dann am nächsten Morgen an. Wir hatten ja jede Menge Sendeplatz. Wir brauchten nicht zu fragen, wie viel Zeit wir für jede Sendung oder für jeden Mitschnitt bekamen. Wir hatten danach 24 Stunden Zeit, um es immer wieder abzuspielen.

Sie haben sich ja wahrscheinlich bestimmte Sendezeiten genommen, die die Hauptsendezeit war.

Diese „Bürgermeister-Sendung“ haben wir immer um 19:30 Uhr begonnen, weil wir wussten, dass um 20 Uhr die Tagesschau losgeht und viele dann die überregionalen Nachrichten sehen wollten. Das war eine gute Zeit. Wir haben immer das Empfinden gehabt: Es war ein Straßenfeger! Gerade die „Bürgermeister-Sendung“. Die war dann am nächsten Tag im Gespräch! Die Menschen hörten und sahen zu, weil sie nun auch interessiert waren: Was passiert in Laubusch? Was wird eröffnet? Was wird abgerissen? Was verändert sich? Das war ja damals tagespolitisches Geschäft, dass sich nach der Wende so viel veränderte. Es war ganz schnell in den Zimmern, in den Wohnungen der Laubuscher.

19:30 Uhr war ja die Aktuelle Kamera gewesen.

Ja, aber deshalb haben wir es nicht 19:30 Uhr gemacht. Wir haben nicht gedacht, dass wir für dieses Gespräch manchmal zwei Stunden brauchten. Es kam darauf an, wer anrief, wie lange der Zuschauer die Frage stellte und wie dann speziell auf die Frage geantwortet wurde. Es kam also vor, den Gemeinderat zwei Stunden in solch einer Sendung Revue passieren zu lassen.

Wie haben denn die Bürger davon erfahren, wann die Sendungen kommen, wann sie wiederholt werden, wann sie einschalten können? Gab es eine Programmankündigung?

Das ganze Projekt lief ja mehr oder weniger ehrenamtlich und enthusiastisch. Und so haben wir eigentlich nicht 24 Stunden ein Fernsehprogramm senden können. So hatten wir, während keine Filmbeiträge liefen, eine Schleife der Programmvorschau gebracht. Und da waren praktisch die angekündigten Sendezeiten und die Thematik abgebildet, aber nebenbei auch, dass ein Vogel entflogen ist oder jemand seine Garage veräußern wollte oder so etwas. Also das war ganz bunt gestreut, was wir dann in dieser Zeitung elektronisch weitergaben – und das alles kostenlos.

Das Gemeindenetzwerk, also das Kabelnetz war von der Gemeinde. Die stellte das kostenlos zur Verfügung. Wurde Ihnen auch nichts bezahlt?

Nein. Das Netz gehörte der Kommune, aber alle waren beteiligt, weil alle den Kredit für diese Anlage tilgen mussten. Da musste in den ersten Jahren jeder einen Obolus an die Gemeinde bezahlen, was sich dann irgendwann amortisierte, und dann wurde diese Zahlung eingestellt. Aber an den Heimatkanal ist kein Cent gegangen – oder kein Pfennig damals noch, wir haben das alles aus privaten Mitteln gekauft, ob das eine Kamera war oder ob das irgendwelche Pulte waren oder Stecker oder was man alles technisch so für eine Fernsehsendung braucht.

Das ist auch ein ganz wichtiger Punkt. Sie haben im Grunde von 1991 bis 2009 ohne Finanzierung von außen Programm gemacht. Sie haben das alles aus eigener Tasche bezahlt?

20 Jahre. Ja, das ist alles aus eigener Tasche finanziert worden. Aber das ist bei mir immer so gewesen. Auch Kirche habe ich sehr mit meinen privaten Mitteln finanziert, ob das irgendwelche Orgeln waren oder technische Voraussetzungen. Ich hatte in den Kirchengemeinden immer Mangel zu verwalten, und dadurch musste man irgendetwas dazugeben. Das war mir gegeben, und so hatte ich auch den Heimatkanal selbst finanziert.

Da gibt es ja dann Engpässe. Sie müssen laufend Kassettenmaterial kaufen usw.

Das habe ich beim Einkauf der Lebensmittel bei Lidl mit eingekauft, da waren die Kassetten nicht so teuer. Jedes Mal, wenn ich eine neue Lizenz beantragte, hatte ich Angst, dass die dann teuer wird, aber es blieb bei 300 DM, und das konnte man noch erschwingen.

Sie haben natürlich kostenlos gearbeitet. Und die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter?

Wir haben ja mit einem kleinen Team begonnen. Wer war da alles? Da war Frank Noack. Der war von Beruf Elektriker. Der hat sich damit eingebracht, der hat sogar ein kleines Computerprogramm für den Commodore C64 geschrieben, um unsere ersten Schrifttafeln über den Sender zu bringen. Dann hatten wir eine Grundschullehrerin, Ulrike Fritsch. Die machte zum Beispiel auch Ansagen oder mal eine Quizsendung in der Grundschule mit Schülern. Und dann hatten wir einen Spätaussiedler, Alexander Lehmann. Der hat beim Fernsehen in Leningrad gearbeitet und hatte Voraussetzungen technischer Art und auch programmmäßig. Der hat sich da auch mit eingebracht. Dann war da noch ein Mitarbeiter, der sich so sehr in die Computertechnik hineinarbeitete, Manuel Wenzko. Der hat dann letztlich in diesem Team am längsten mitgearbeitet. Ich war sozusagen der Vorsitzende dieser Arbeitsgemeinschaft.

Die haben das alle neben ihrer eigentlichen Arbeit als Pfarrer gemacht?

Alles ehrenamtlich und kostenlos investiert.

Würden Sie noch mal ihre Motivation und die von den Mitarbeitern beschreiben?

Ich denke, die Motivation der Mitarbeiter war die Liebe zur Technik. Bei Ulrike Fritsch vielleicht auch die Liebe zu diesem Medium. Bei mir war es die Kommunikation, das Miteinander, auf einer Perlenkette gefädelt in diesem Kabelkanal zu sein und Öffentlichkeit herzustellen. Das ist ja eigentlich auch das Grundanliegen meines Berufes, dass man öffentlich das sagt, was man im Herzen hat.

Öffentlichkeit herstellen – für mich war das immer eine große Verantwortung, niemanden vor der Kamera bloßzustellen. Das gelingt einem nicht immer, wenn man im Nachgang erst sieht, was man gemacht hat oder wie man die Fragen gestellt hat.

Ich hatte mal die Situation, dass ich eine Andacht vorbereitet habe, und meine Kamerafrau, Susanne Fischer, die gleichzeitig im Background noch das Keyboard bediente, war erkrankt und konnte nicht kommen. Ich musste ja um 7:45 Uhr mit dieser Andacht immer von Montag bis Freitag auf Sendung gehen. Dann bin ich schnell raus in den Pfarrgarten, habe einen Tannenzweig abgenommen, hab dazu einen Strohstern gelegt und eine Kerze entzündet und eine Totale eingestellt, so dass der ganze Fernsehapparat ein adventliches Erscheinungsbild hatte. Und da ist mir bewusst geworden, was Bilder eigentlich für eine Macht haben. Niemand hat gesehen, wie mein Arbeitszimmer aussieht, wer in dem Zimmer drinnen ist und was da gerade geschieht. Wie viel Verantwortung im Journalismus steckt – und gerade mit den Bildern, die ja Macht haben. Das habe ich mir immer gewünscht, dass gerade in unserer Zeit die Journalisten verantwortlicher damit umgehen, um die Menschen nicht, ja, ich würde das vielleicht mal so formulieren: verrückt zu machen. Denn die Bilder heute sind grausam, und ich denke, es ist nicht die Aufgabe von Fernsehmedien, den Menschen Angst zu machen, sondern Öffentlichkeit so darzustellen, dass sich etwas bewegt und dass man Leute mitnimmt mit ihren Fragen und mit ihren Ängsten und dass man irgendwo auch ein positives Denken hervorruft. Ich denke immer an die Zeit der 1950er Jahre. Ich bin da zwar noch nicht in dieser Welt gewesen, aber ich glaube, dass durch die Kitsch-Filme in diesen Jahren das Wirtschaftswunder6 mitgetragen wurde. Die Menschen sind ins Kino gegangen, haben ein Happy End gesehen, konnten am nächsten Tag von diesem Liebesfilm und von diesem Happy End erzählen. Und heute erzählen die Menschen nur, wo jemand sein Kind in die Babyklappe gegeben hat, wo ein Autounfall war, wo Grausamkeiten geschehen, wo irgendetwas mit Asylanten passiert. Ich denke, hier müssen die Medien umdenken und lernen, die Öffentlichkeit mitzunehmen und nicht nur immer die schlechten Nachrichten zu verkaufen, die vielleicht sogar gerne gelesen oder gesehen werden.

Da wir an diesem Punkt schon sind, das ist ja eine sehr weitgehende Reflexion ihrer Tätigkeit damals, aber sie haben das ja jetzt auch auf die Gegenwart bezogen. Würden Sie da eine Beziehung auf die gegenwärtige politische Situation, auf die Verhärtung nationalistischer Themen auf der einen Seite und zersplitterten Altparteien auf der anderen Seite herstellen – nachdem sie jetzt gerade diese Medienkritik angestellt haben?

Ich denke, dass die Medien heute zu viel Politik machen – durch Fragen, durch Bilder, durch Meinungsäußerung, ob es in Talkshows ist oder in Nachrichtenbeiträgen. Ich denke, man lässt die Politiker nicht mehr Politik machen, weil man sie verfolgt und jagt. Und das ist eine große Gefahr, denn der Journalist ist ja in einer anderen Tätigkeit und Aufgabe unterwegs als ein Politiker. Und wenn ein Politiker ständig nur von Kameras verfolgt wird, dann ist das eine große Gefahr, dass er im Anblick dieser Kamera immer reflektiert spricht und dass dadurch viel Ehrlichkeit verloren geht, weil Entblößung auch eine Rolle spielt. Und das war damals bei uns eben nicht so. Wir konnten in Laubusch zeigen, wie ein Markt eröffnet wurde, wie Kinder eingeschult wurden. Wir konnten über die Chronik sprechen. Wir haben Drehorte gefunden, wo sich kommunales Leben abspielte, wo wir niemanden vorführen mussten. Und wir waren nicht abhängig, dass unsere Beiträge gekauft wurden. Wenn eben nur 100 geguckt haben, dann haben 100 geguckt und wenn 1.000 geguckt haben, dann waren’s 1.000. Wir hatten keine Einschaltquoten.

Hatten Sie Programmelemente, oder ist das, was aufgenommen wurde, eins zu eins gesendet worden, oder kam noch ein Nachrichtenblock dazu, der immer dabei war? Feste Elemente gab es gar nicht?

Wir haben nichts kommentiert, sondern immer nur Fragen gestellt. Wir hatten keine Nachrichtensendung in dem Sinne, sondern wir hatten Zusammenfassungen von Bürgermeistergesprächen, die praktisch die Ratssitzung noch einmal Revue passieren ließen. Das haben wir alles eins zu eins gemacht, denn wir hatten ja gar nicht die Schnitttechnik. Und wenn wir diese Technik gehabt hätten, wer hätte schneiden sollen? Ich war ja Pfarrer.

Noch mal zu dem Thema „Bürgermeisterfernsehen“. Sie haben nun diese spezifische Zeit gehabt, und die hat sich in Laubusch so besonders abgebildet, auch durch das neue politische Personal, das auf die Bühne kam. Wenn da irgendein Extremistischer oder Extremer da doch mal aufgetreten wäre, wäre es vielleicht nicht so gut gewesen, oder es hätte nicht so funktioniert?

Also die Fragestellung stand nicht. Wir hatten eine gemeinsame politische Meinung. Das war ganz wichtig, dass wir miteinander etwas bewegen wollten, was den Bürgern zugutekommt, wo sich etwas entwickelt. Denn ich bin ja auch ein Vertreter davon, der sich gefreut hat, dass die Wende kam und dass wir auch ein teilweise neues Deutschland bauen konnten. Natürlich hatten wir damals noch ganz andere Vorstellungen. Dann kamen natürlich die Gesetze, die wir übernommen haben. Das war ohnehin eine Zeit, wo man fragen muss: Wo haben sich Menschen jemals so verändern müssen wie in den 90er Jahren in der ehemaligen DDR? Das zu begleiten und dann durch die Öffentlichkeit den Druck rauszunehmen, dass alles transparent ist, das war mir immer wichtig. Dass nichts gemunkelt wird, sondern dass sich die Menschen per Telefon in die Sendung einwählen konnten und gemerkt haben, das ist nicht geschnitten, hier kannst du deine Frage stellen, als würdest du jetzt im Rathaus aufstehen und deine Frage vor den Räten stellen. Der Bürgermeister war ja in alle Dinge, die damals liefen, involviert und konnte dadurch auch perfekt antworten. Das war eigentlich für mich eine Situation, die gut war. Wenn damals vielleicht ein PDS-Bürgermeister gewählt worden wäre, weiß ich nicht, wie ich damit umgegangen wäre. Aber man muss ja nicht spekulieren. Es war nicht so und so hatte ich Glück. Durch das Fernsehen hat man eine Bekanntheit gewonnen, gerade in Laubusch.

Nicht alle Menschen in Laubusch waren ja kirchlich eingestellt. Die 40 Jahre Sozialismus gingen ja nicht spurlos an der Bevölkerung von Laubusch vorbei. Das Brikett-Werk war das einzige, das sozusagen das Sagen im Ort hatte. Es gab kaum private Wohnungen, kaum private Handwerker, alles machte das Werk, und somit organisierte die Betriebsparteileitung das Leben in unserem Ort. Der Pfarrer war mehr oder weniger schon fast in Vergessenheit geraten. Wenn wir nicht so eine schöne, große Kirche gehabt hätten und die schwersten Glocken in der ganzen Gegend, dann hätten viele von Kirche gar nichts mehr mitgekriegt. Durch das Fernsehen bin ich aber im Dorf, oder im Industrieort, bekannt geworden, wo Menschen mich vielleicht nie kennengelernt hätten. Und dann habe ich kandidiert und hatte dann 1994 die zweitmeisten Stimmen im Parlament und bin dann auch stellvertretender Bürgermeister in Laubusch geworden.

Wie sehen Sie den Einfluss Ihrer Arbeit und des Laubuscher Heimatkanals als Sprachrohr, als Begleiter der Transformation, dieser Umbruchzeit, die ja für uns alle sehr dramatisch war? Wie sehen Sie da Ihre Position und auch die Position des Laubuscher Heimatkanals?

Wie gesagt, das war die Öffentlichkeit. Die Öffentlichkeit, die wir hergestellt haben, die ja in der vorhergehenden Staatsdoktrin nicht vorhanden war. Da hat man ja nur das gesendet, was man politisch wollte. Wir haben die Menschen vor die Kamera genommen und die Berichte authentisch gestaltet und die Fragen gestellt, und die Menschen haben dann, ohne später geschnitten zu werden, ihre Informationen an die Bevölkerung gegeben. Ich denke, das war bestimmt auch ein Lerneffekt, dass man eine Nähe auch unter den Menschen hatte. Ich denke, dazu trug der Heimatkanal bestimmt bei.

Weil Sie jetzt gerade Heimatkanal sagen. Heimat ist ja nun auch ein Begriff, der sehr emotionalisierend ist. Wie sind Sie auf den Namen „Laubuscher Heimatkanal“ gekommen?

Nach der Wende gab es ja in allen Gemeinden die Amtsblätter. Wir wollten diesem Amtsblatt nicht nur den Titel „Amtsblatt“ geben, sondern auch einen Namen, und so haben wir dann „Laubuscher Heimatblatt“ daraus gemacht. Kurz danach gründete sich der Laubuscher Heimatkanal eben vor diesem Hintergrund. Den Vorschlag habe ich gemacht, um Heimatverbundenheit und Nähe zu der Region, in der man lebt, wieder herzustellen.

Sie haben das also gar nicht als belasteten Begriff gesehen, sondern als emotionalen Begriff?

Nein, das war ohne Belastung zu steuern. Wir liebten ja unsere Heimat, und es sind ja auch viele in der Heimat geblieben. Das war auch damals diese Traurigkeit in Laubusch, dass 1993 das Brikett-Werk geschlossen wurde und viele Menschen, gerade die starken, in den Westen gingen. Die hatten wir kurz vorher noch vor der Kamera. Das war ja das Groteske. Wir haben im Dezember 1993 noch einen Film gedreht, in dem wir den Produktionsprozess der Brikett-Fabrik Laubusch aufgezeichnet haben, also vom Einfahren der Rohbraunkohle mit der Grubenbahn zum Bunker, bis hinten am letzten Produktionsprozess die Kohle, das Brikett gepresst wurde. Eine Woche später brannte das gesamte Kohlenwerk ab. Und so haben wir praktisch die letzte Dokumentation von der Herstellung der Kohle in Laubusch aufgezeichnet, die 1918 begonnen hatte. Das ist natürlich ein sehr historisches Dokument. Die Kumpel haben wir nicht nur gefragt, was sie da tun, denn wir wussten ja, dass ohnehin das Anhalten der Brikett-Fabrik in Aussicht gestellt war. Jetzt fragten wir die Kumpel, wie sie damit umgehen, wenn sie plötzlich nicht mehr hier arbeiten, wenn es ihren Arbeitsplatz hier nicht mehr gibt. Dann kamen die entsprechenden Antworten, und das ist auch ein Dokument, was die Menschen in unserer Heimat damals in den Veränderungen geleistet haben. Das sucht seinesgleichen in der Geschichte. Da ist ja in der Familie Veränderung gewesen, eine örtliche Veränderung.

Was ich selbst immer festgestellt habe nach der Währungsunion 1990: Plötzlich mussten wir einen ganz anderen Geschmack entwickeln. Es gab nicht mehr den Senf, nicht mehr die Butter, nicht mehr das Brot, was man so aß. Man musste sich erst neu orientieren, was ich denn jetzt esse. Erst später kamen dann der Bautz‘ner Senf oder andere Produkte wie das Leinöl wieder auf den Markt. Das ist Wahnsinn, was damals passierte. Was mit den Menschen auch gemacht wurde. Vielleicht hat man das auch ein Stück weit der DDR zu verdanken, dass Menschen doch still blieben. Ich denke, mit einem westdeutschen Bürger hätte man das alles gar nicht geschafft, was im Osten gelaufen ist. Denn im Westen hatte man ja die Freiheit und die Demokratie, die 68er waren da. Das merkt man heute in den politischen Vertretungen, was da möglich war. Die Menschen in der DDR hatten das aber nicht gelernt. Dadurch, denke ich, ist auch ein Stückchen Wende so passiert, wie es passiert ist. Dass es ruhig geblieben ist trotz der großen Veränderung.

Da ergeben sich vielleicht auch Ost-West-Unterschiede, nämlich hier eine relativ große Demut auch gegenüber dem, was das Eigene ist, wie man zurechtkommt und welche Ziele man sich selbst stellt, während andere, die Westdeutschen, eher ganz andere Vorstellungen hatten und letztendlich, wenn sie kamen, auch hierher mitgebracht haben.

Man muss sich immer vorstellen: In der DDR lebten die Menschen, die dann ja auch in der neuen Bundesrepublik mitlebten. Die hatten damals Verantwortung. Sie konnten ihre politischen Denkweisen ja nicht von jetzt auf gleich verändern. Man konnte ja diese Menschen nicht austauschen, die waren ja unsere Nachbarn geblieben. Die waren plötzlich in den neuen Ämtern: im Finanzamt, im Arbeitsamt. Überall dort, wo Schreibtische neu gebraucht wurden, kamen die Menschen hin, die früher eigentlich eine ganz andere politische Einsicht hatten. Mit denen mussten Sie jetzt Neues aufbauen, und das war schwer, wenn Sie plötzlich in den Ämtern Menschen begegneten, die ihr Mäntelchen nach dem Wind gehangen hatten, die sogenannten „Wendehälse“ der damaligen Zeit. Das war manchmal demütigend, wenn man das erlebte. Für uns war es damals wichtig, im Heimatkanal solche Gedanken mit einzufangen, gerade bei diesen Beiträgen, in denen wir die Brikett-Fabrik filmten oder in denen wir Leute auf der Straße zu verschiedenen Themen ansprachen und sie sich frei äußern konnten – immer mit dem Wissen, dass sie eine DDR-Geschichte hatten. Im Umgang mit Medien, im Umgang mit der Wahrheit, im Umgang mit der Öffentlichkeit. Ich würde die Zeit nie zurückdrehen wollen. Das war, wie es war. Wenn heute so viele schimpfen, dass das anders hätte gemacht werden müssen. Damals wussten wir alle nicht, wie man es anders hätte machen sollen. Es war eine historische Chance, und unter anderem war das auch eine Chance für so einen kleinen Ort wie Laubusch, einen eigenen Fernsehkanal zu haben. Das war früher in der DDR nicht gegeben.

Kommen wir nochmal auf den Heimatkanal zurück. In Ihren Programmen kommt ja auch dieses Nachbarschaftliche, dieses Schätzen von Menschen zum Ausdruck. Auch der Versuch, Menschen zusammenzubringen, obwohl sie völlig unterschiedlich sind. Die einen kommen aus Kasachstan, die anderen sind die Arbeitslosen und die neuen Wessis vielleicht. Das ist ja total interessant. Würden Sie da Ihr mediales Wirken im Heimatkanal gerade in dieser frühen Zeit der 1990er und Mitte der 1990er Jahre als eine Zeit ansehen, die da etwas vorangebracht hat und bei dem Sie wirklich Erfolgserlebnisse hatten? Erfolg nicht im vordergründigen, sondern in einem nachhaltigen Sinne.

Ich denke, dass im Journalismus Liebe und Barmherzigkeit eine Rolle spielen müssen. Von dieser Sache bin ich getragen gewesen. Ich hatte praktisch immer, wenn wir etwas gedreht haben, diesen Anspruch in mir. Wie gesagt, ich wollte niemanden vorführen, sondern respektvoll mit den Leuten umgehen und andere mit auf diesen Weg des gegenseitigen Respektierens nehmen. Denn unsere Beiträge waren ja nicht nur Berichte, sondern wir haben durch unsere Fragen und durch das, was in diesen Beiträgen behandelt wurde, Menschen mitgenommen, damit sie auf einen Weg kommen, den sie vorher nie in Erwägung gezogen hätten, weil sie sich darüber keine Gedanken gemacht hatten. Wir haben durch unsere Beiträge immer Fenster und Türen geöffnet, um eine andere Perspektive zu eröffnen. Wir hatten damals, als die Spätaussiedler7 kamen, unheimlich Angst. Die Arbeitslosigkeit, das stillgelegte Brikett-Werk muss ich immer wieder erwähnen. Und dann kommen plötzlich Menschen, die von unserem Kuchen mitessen wollen. Da hatten wir mit dem Bürgermeister große Angst. Deshalb haben wir das von Anfang an mit der Kamera begleitet, damit die Menschen sehen, dass das ja ehemalige Deutsche sind, die noch gebrochen Deutsch sprechen. Das sind anständige Leute. Die wollten ja nicht nur von unserem Kuchen essen, sondern es waren Menschen, die deutschstämmig sind und nach Laubusch zurückkamen, um hierher in ihre alte Heimat bzw. in die Heimat ihrer Vorfahren zu gehen, weil es dort, in Kasachstan, unter menschenunwürdigen Bedingungen kaum noch möglich war, die deutsche Sprache zu sprechen und eine deutsche Kultur zu leben. Ich denke, dass wir mit dem Heimatkanal in die Speichen des Rades griffen. Wir machten nicht Politik, sondern wir riefen zur Mitmenschlichkeit auf.

Bei all dem, was Sie im Laubuscher Heimatkanal gemacht haben, auch alleine gemacht haben: Sie haben Fernsehen gemacht. Welche journalistischen und filmischen Kenntnisse hatten Sie? War das alles autodidaktisch? Hatten Sie vorher schon Erfahrungen? Können Sie uns mal einige biographische Eckdaten nennen?

Ich denke, das sind Gaben. Manche Dinge kann man nicht lernen. Die muss man fühlen und umsetzen, und wenn man es dann professionell macht, muss man sich auch mal ein Buch dazu nehmen. Aber ich habe das ja nicht professionell gemacht. Mein Ansinnen war immer, Dinge zu verbinden. Das ist auch so im Gottesdienst. Die Feier des Gottesdienstes ist auch so etwas wie ein Drehbuch. Ich mache mir zum Beispiel genau Gedanken, wann ich mich zur Gemeinde drehe und wann ich mich zum Altar drehe. Das ist jetzt nicht nur etwas Technisches oder ein Problem des Aussehens, sondern die Frage: Wer bin ich dann? Bete ich jetzt mit der Gemeinde oder bin ich jetzt qua Amt ein Gegenüber? So stellt sich doch auch das ganze Leben dar, dass man irgendwo früh so ein Drehbuch für jeden Tag hat – und dann die Gabe zu entwickeln, weiche Übergänge zu haben. Das ist, denke ich, die Kunst, Bilder einzufangen und Bilder mit Ton und Sprache zu unterlegen. Ich habe in meiner Jugend auch Dia-Ton-Vorträge gemacht. Das war mir wichtig, dass ich mit dem Schallplattenspieler die Musik leise einspiele und die Sprache dazu wähle und dass man seine Sprache auch kontrolliert, so dass das weich rüberkommt. Es ist die Kunst ist, medial Dinge aufzubereiten und zu anderen zu bringen. Man muss es auch ein Stück haben.

Können Sie kurz beschreiben, wie die technische Ausstattung war? Was hatten Sie für den Heimatkanal zur Verfügung, und wie hat sie sich im Lauf der Jahre verändert?

Am Anfang hatte ich eine „M7“ von Panasonic8, die ich noch vor Maueröffnung von der Partnergemeinde mitgebracht hatte. Die mussten wir im Zug verstecken, damit sie der Zoll nicht sah. Mit der habe ich, bevor es zum Heimatkanal kam, ein paar Gemeindeaufnahmen und private Aufnahmen gemacht. Das war unser Anfang, und da war der Ausgang, den wir in das Kabel schicken konnten. So haben wir unsere erste Sendung eingespielt.

War da schon ein externes Mikrofon?

Nein, am Anfang noch nicht. Das war ein Camcorder. Man konnte die Kassette damit sofort abspielen. Und dann ergab es sich, dass man sich ein billiges Mikrofon für 20 DM dazu gekauft hat; dann hat man einen Videorekorder benutzt, und dann kam ein „Commodore C 64“. Den kennt heute niemand mehr. Ich weiß gar nicht, wie viel RAM der hatte, wahrscheinlich ein paar k oder so. Dann haben wir einen Computer mit Windows angeschafft. Dann hatte ich mal so eine kleine Musikmaschine, wo man GEMA-freie elektronische Musik herstellen konnte, damit die unter die Videotexttafeln gelegt werden konnte. Dann haben wir uns eine „M40“ von Panasonic angeschafft, das war eine etwas größere Videokamera, aber das Geld für eine richtige Betacam hatten wir nie. Das hätte mein Finanzbudget weit überstiegen. Jedenfalls hatten wir ein Mischpult, mit dem wir eine Schwarzblende vorn an die Beiträge dranmachen konnten. Wir haben dann von dem Mitarbeiter Alexander Lehmann, der beim Leningrader Fernsehen angefangen hatte, einen kleinen Silberkoffer mit Geräten verlöten lassen. Da war ein Umschaltpult für Video, für SCART. Da konnten wir dann zwei Kameras hin- und herschalten, natürlich nicht ohne Wackler. Da waren auch vier Buchsen dran, wo wir Kragenmikrofone anstecken konnten, wenn wir mal mehrere Menschen interviewt haben. Das war’s eigentlich, mehr hatten wir gar nicht.

Sie haben also die ganze Zeit analog gearbeitet?

Bis 2009 waren wir analog, ja.

Aber vielleicht noch was zur Technik. Wir hatten im Pfarrhaus einen Keller. Den konnten wir nach der Wende gut einrichten, und da haben wir uns ein Studio im ehemaligen Luftschutzraum des Pfarrhauses eingerichtet. So richtig mit Studio und Pult, wo dann die Geräte drauf waren. An die Decke hängten wir ein paar Halogen-Fluter, damit wir richtig schön Licht hatten. Wir konnten dann mit einer Leitung, die wir unter der Straße zur Kirche gruben, live aus der Kirche senden. Wir konnten live aus dem Pfarrgarten senden, und wir konnten live aus einem anderen Raum des Kellers senden und aus meinem Arbeitszimmer. Wir hatten überall eine Tonleitung und eine Bildleitung, die manches ermöglichten. Das wird zur Zeit alles zurückgebaut, weil das Pfarrhaus nun verkauft wurde.

Von wann bis wann haben Sie Morgenandacht gemacht? Die war ja noch mal zusätzlich zum Programm, und wie ist die angenommen worden?

Von 7:45 Uhr bis 8 Uhr lief die Morgenandacht. Das ist eine Zeit, in der man schon manches erledigt hatte. Dann kam das ins Programm. Ich hatte auch eine Fangemeinde. Man wusste ungefähr, wer jetzt zuguckt und zuhört. Die Leute brauchte man hinterher nicht anzurufen, denn die riefen sich gegenseitig an und erzählten sich über das, was gerade in der Andacht lief. Die Andacht lief so: Nach einer kurzen Schwarzblende habe ich die Zuschauer begrüßt, ihnen einen guten Morgen gewünscht und ein Lied aus dem Gesangbuch ausgewählt; die Kamerafrau Susanne Fischer führte nicht nur die Kamera, sondern sie unterlegte, wenn das schwarze Bild verschwand und ich auf dem Bildschirm erschien, ein Orgelstück zu dem Lied, das ich in Strophenform las; dann nahm ich mir Losung und Lehrtext der „Herrnhuter Brüdergemeinde“ vor und legte diesen tagesaktuellen Text aus; und dann habe ich den Menschen einen guten und schönen gesegneten Tag gewünscht und beendete immer die Sendung wie im Gottesdienst: Seien sie alle Gott befohlen!

In welchem Jahr haben Sie damit angefangen?

Wir haben 1992 angefangen zu senden. Wir hatten 1993, glaube ich, dann diese Rückkanaltechnik,9 also ab 1993 bis 2009.

Das war ja dann eigentlich eine Kirchensendung.

Ich habe es immer so verstanden, dass ich alle erreichen wollte. Ich habe mir vorgestellt, dass da jemand zuschaut, der sich nie zu erkennen geben wird, weil er vielleicht eine andere Einstellung hat, aber neugierig ist auf das, was der Pfarrer heute zu sagen hat. Und ich hatte diejenigen vor Augen, die mir in der Gemeinde begegneten, die, wie gesagt, dann an dieser Telefonkonferenz teilnahmen. Es war meine Aufgabe, das Wort Gottes zu verkündigen und in unsere Zeit hineinzusprechen. Das wünschte ich mir manchmal auch verstärkt in den anderen Medien, in denen es zu kurz kommt. Wenn ich dazu komme, eine kirchliche Sendung zu sehen, ärgere ich mich immer, dass ein Schnitt schon irgendwo beim Orgelnachspiel gemacht wird, wenn mal ein paar Sekunden überzogen wird. Dann kommt abrupt ein Werbetrailer für eine andere Sendung. Ich finde das skandalös. Die sollen das doch mal nachwirken lassen. Wir hatten immer Sendezeit, wie wir wollten.

Stichwort Archiv. Haben Sie ein eigenes Archiv aufgebaut? Haben Sie noch irgendwelche Kamerakassetten, Akten oder Dokumente des Laubuscher Heimatkanals archivarisch bewahrt und gepflegt?

Als ich aus dem Pfarrhaus in Laubusch auszog, habe ich natürlich auch die Ordner mit den handschriftlich eingereichten Annoncen weggeschmissen. Manchmal hat man sich ein bisschen davor geekelt, diese Zettel in die Hand zu nehmen. Ich habe sie aber doch gelocht und abgelegt. Aber das habe ich alles weggeworfen. Es wäre vielleicht auch interessant gewesen, wenn man diese ganzen Annoncen wie „Suche Küchenmaschine“ oder „Biete alten Trabant an“ gesammelt hätte. Ich habe gar nicht so viele private Aufnahmen, das sind alles Aufnahmen vom Heimatkanal. Sie müssen sich immer wieder vorstellen, dass ich in erster Linie Pfarrer war und den Beruf immer verantwortlich ausgeübt habe, und der war auch zeitbegrenzt. Da ging Privates eigentlich verloren, und somit hat man mit der Kamera auch nicht so viel Privates aufgezeichnet. Man hatte schon genug zu tun, wenn man die Kamera für den Heimatkanal auf der Schulter trug.

Ganz, ganz herzlichen Dank. Da war ein tolles Gespräch!

Aber es tut mir auch gut. Wissen Sie, man denkt doch nicht an diese Sachen, die man gemacht hat. Heute Vormittag ist so viel von dem, was man mal gemacht hat, wieder aufgebrochen. Ich wünschte mir manchmal so eine Wertschätzung auch in der Kirche, dass man mal gefragt wird, was man gemacht hat. Ich habe immer das Gefühl, dass in der Kirche und in der Gesellschaft immer bloß gesagt wird, was man vergessen hat oder falsch gemacht hat. Und das ist demotivierend. Das schließt nichts auf, sondern das schließt zu. Machen Sie deshalb schön weiter und suchen Sie sich immer wieder Leute, die befragt werden wollen. Das erlebe ich doch auch, wenn ich Besuche mache. Wenn man sich die Zeit nimmt, einem alten Menschen zuzuhören. Was da so ausbricht und aufbricht – und der ist glücklich darüber. Denn alles, was ich ausspreche, entlastet mich. Der Rucksack ist dann etwas leichter. Es gibt ja manchmal auch Dinge, auf die man trotz der Demut stolz sein kann. Ach so, das hast du ja damals auch gemacht, stimmt ja. Eigentlich war es gar nicht schlecht. Aber es hat niemand gemerkt. Schade. Und nun ist endlich jemand da, der dich mal danach fragt.

Ich bin dankbar, dass Sie diese ganzen Fragen stellen, und damit erlebe ich eine Wertschätzung unserer Arbeit und dieser Arbeitsgemeinschaft Laubuscher Heimatkanal, erstmalig so im Nachgang. Ich denke, dass es wichtig ist, immer eine Erinnerung für die Zukunft zu bewahren. Konservativ sein ist nämlich etwas ganz Positives. Wenn man etwas konserviert, kann man mal eine Büchse aufmachen, wenn mal eine Notzeit ist und man nichts mehr im Ist-Zustand hat, sondern aus der Vergangenheit mitbringt. Chronik zu machen ist eine ganz wichtige Aufgabe. Jeder Ort muss stolz sein, wenn er etwas aus einer Geschichte fixieren kann. Wir in Laubusch sind besonders stolz, dass wir dieses neue Medium nutzen konnten und dass wir Bild und Ton aufbewahren können und zu einer Chronik herstellen konnten.

Sehr vielen Dank, Herr Pfarrer Simmank.

  1. Vgl. Aleida Assmann: Der lange Schatten der Vergangenheit. Erinnerungskultur und Geschichtspolitik. München 2018, S. 210–215.
  2. Diesen Fundus untersucht derzeit das Projekt „Heimat heute – oder: Jeder hat sein Nest im Kopf. Transformationen ins vereinte Deutschland im Spiegel sächsischer Lokal-Fernsehprogramme (1990–1995) und ihre heutige Relevanz“ des „Leipziger Instituts für Heimat- und Transformationsforschung LIHT“. Vgl. www.heimat-und-transformation.de.
  3. Gerd Simmank wurde 1960 in Altdöbern geboren. Nach der Schule absolvierte er zunächst eine Zimmermannslehre, entschied sich 1980 für den Weg in den Pfarrberuf und studierte in Berlin Theologie. Seit Ende der 1980er-Jahre war Gerd Simmank als Pfarrer für Laubusch und Schwarzkollm verantwortlich. Heute ist er Pfarrer für die Kirchgemeinden Bernsdorf, Hohenbocka, Hosena und Laubusch.
  4. Von 1987 bis 1991 Parteivorsitzender der SPD und von 1983 bis 1991 Vorsitzender der SPD-Bundestagsfraktion.
  5. Nachdem die Sächsische Landesanstalt für Privaten Rundfunk und Neue Medien/SLM Anfang Januar 1992 ihre Arbeit aufgenommen hatte.
  6. In der alten Bundesrepublik.
  7. Die deutschen Spätaussiedler aus Kasachstan.
  8. VHS-Camcorder.
  9. Gemeint sind hier die oben erwähnten Phone-Ins zum Feedback in die Sendung unmittelbar nach der Gemeinderats-Sitzung.