Wittenberg 2018 – Bericht vom Medienhistorischen Forum

Am 9. Und 10. November 2018 haben sich erneut NachwuchswissenschaftlerInnen in der Lutherstadt Wittenberg getroffen, um dort mit VertreterInnen des Studienkreises Rundfunk und Geschichte und der Fachgruppe Kommunikationsgeschichte der Deutschen Gesellschaft für Publizistik und Kommunikationswissenschaft über ihre Forschungsprojekte zu diskutieren. In seinem Expertenvortrag schlug Prof. Dietz Schwiesau, Wortchef Hörfunk und Trimedialer Nachrichtenchef beim MDR Sachsen-Anhalt, angesichts des historischen Datums einen Bogen von den „wilden“ Anfängen seines Senders im Jahr 1992 bis in die Gegenwart komplett digitaler Redaktionsumgebungen. Dabei ließ er hier und da ein Quäntchen Ironie durchblitzen, denn nur so schien sich der hart wirkende Kontrast zwischen den technischen und architektonischen Bedingungen eines öffentlich-rechtlichen Landesfunkhauses in den frühen 1990er Jahren mit denjenigen des 2014 eröffneten Hightech-Halbrunds des MDR in Magdeburg überbrücken, das sich gegenüber dem ersten Standort wie eine wahrgewordene Science-Fiction-Utopie ausnimmt. Kaum weniger radikal hat sich der journalistische Alltag in den letzten Jahrzehnten gewandelt – wobei die Zukunft im Jahr 2019 ähnlich offen zu sein scheint wie im Jahr 1992. Mit Schwiesau ist ein erfahrener Journalist für die digitale Transformation beim MDR-Sachsen Anhalt zuständig, der sich – wie er erzählt – bei den inzwischen auch auf Social-Media-Kanäle ausgeweiteten Aufgaben gleichermaßen auf die Kompetenz seiner RedaktionskollegInnen stützt wie auf junge IT-Talente, für die der Rundfunk allerdings nicht selten vor allem ein Karrieresprungbrett darstellt.

Die Projektvorträge eröffnete Simon Sax von der Universität Bremen mit seinem Dissertationsvorhaben über den Journalisten Walter Gyssling (1903–1980). Sax interessieren dabei nicht nur die Bezüge eines deutsch-jüdischen Journalistenlebens zur Pressegeschichte der Weimarer Republik, sondern auch grundsätzlich der methodische Umgang mit Biografien und ihr struktureller Stellenwert in der heutigen Kommunikationswissenschaft.

Ebenfalls am Zentrum für Medien-, Kommunikations- und Informationsforschung der Universität Bremen arbeitet Arne L. Gellrich über die Frühgeschichte internationaler Entwicklungspolitik. Die Dissertation entsteht im Rahmen eines DFG-Projekts zur Transnationalen Kommunikationsgeschichte des Völkerbunds in der Zwischenkriegszeit (1920–1938). Der Völkerbund sollte nach der traumatischen Erfahrung des Ersten Weltkriegs als ständige Einrichtung das Funktionieren internationaler Diplomatie, mithin die zwischenstaatliche Kommunikation gewährleisten. Mit Fokus auf das Mandatssystem zur Verwaltung der ehemaligen deutschen Kolonien untersucht Gellrich den Völkerbund als eine transnationale Kommunikationsschnittstelle, deren komplexe Informationsflüsse und Akteurskonstellationen in einer Kombination aus „Biografie und Bürografieerschlossen werden sollen.

Den Kreis der Bremer KollegInnen schloss Christina Sanko, die als ausgebildete Journalistin mit Auslandserfahrung über mediale Praktiken kollektiver Erinnerung in Vietnam forscht. Ihre Studien eröffnen ein Spannungsfeld, in dem die kolonialen Kriege, unter denen das Land jahrzehntelang zu leiden hatte, bis heute ihre Schatten werfen. Anhand von Befragungen zeigt Christina Sanko, dass sich zwischen historischen Gegensätzen und sehr unterschiedlichen Generationenerfahrungen bis heute kaum so etwas wie eine Nationalidentität mit entsprechender Medienkultur und Erinnerungspraxis in Vietnam entwickelt hat.

Wie soll man nach dem Ende des Krieges aus der ideologischen Umklammerung „aussteigen“, die ihn begleitet oder gar provoziert hat? Dieser Frage widmet sich auch Valentin Bardet (ENS Paris-Saclay) mit Blick auf die französische Entnazifizierungspolitik nach 1945. Bardet interessieren die Zusammenhänge zwischen der Kulturpolitik in der französischen Besatzungszone und der Arbeit des Südwestfunk-Orchesters von 1945–1955. Was wurde gesendet, was nicht, welche Kontinuitäten in der Orchesterbesetzung ergaben sich beim „Neuanfang“ in Baden-Baden? Inwieweit sich der Prozess des „sortir de guerre“ – also die in der neueren französischen Geschichtsforschung vertretene Perspektive eines nicht punktuellen, sondern transformativen Kriegsendes – an der ‚Musikpolitik‘ des frühen SWF ablesen lässt, bleibt eine Frage, auf deren Bearbeitung man gespannt sein darf.

Mit Medientechnikgeschichte beschäftigen sich Tobias Held und Christoph Borbach in ihren Arbeiten. Tobias Held beforscht an der Bauhaus-Universität Weimar die Geschichte der Videotelefonie. In seinem Vortrag zeigt er, wie sich die Videotelefonie seit den 1970er und 1980er Jahren von einem exklusiven Unternehmertraum in ein massenhaftes Individualmedium verwandelt hat, dessen Technologie und Ästhetik längst auf massenmediale Formate zurückwirkt. Als studierter Designer schaut Held mit einem besonderen Blick auf die Bildtelefonie, deren früheste (Tele-) Visionen (wie die Karikaturen Albert Robidas) in eins fallen mit den Anfängen der Fernsehentwicklung. Einen Seitenarm der Radiogeschichte bearbeitet Christoph Borbach am DFG-Graduiertenkolleg Locating Media an der Universität Siegen unter dem Titel Zeitkanäle/Kanalzeiten – Eine Mediengeschichte des Δt. Gleichzeitig mit der Utopie des frühen Rundfunks als Kommunikationsform, in der Raum und Zeit eliminiert und der Völkerverständigung damit nichts mehr im Wege zu stehen schien, wurden mit Hilfe der Radiotechnik verfeinerte Messverfahren entwickelt, aus der Technologien wie Echolot, Radar und Sonar hervorgingen, die zunächst weniger völkerverständigenden Zwecken dienten. Mit Christoph Borbachs Fokus einer Mediengeschichte der Verzögerung wird klar, dass sich aus dem ‚Kanal‘, der Laufzeit eines elektromagnetischen Signals auf einer bestimmten Frequenz eine eigene Kultur des Messens, Ortens und Speicherns entwickelt hat, deren Ausleuchtung sich sowohl technikhistorisch als auch medientheoretisch zu lohnen scheint.

Zum Schluss präsentierte Kathrin Meißner vom Berliner Leibniz-Institut für Raumbezogene Sozialforschung in Erkner bei Berlin ihr Projekt über das Verhältnis von Medien, Stadtplanung und städtischer Öffentlichkeit im 20. Jahrhundert. Konkret geht es um die visuellen Strategien etwa mit Dias, Karten, Luftbildern oder Modellen, mit deren Hilfe stadtplanerische Eingriffe im 20. Jahrhundert kommuniziert wurden. Welche Wechselbeziehungen bestanden mit Anwohnern und der Öffentlichkeit? Kathrin Meißner will belastbare Daten zur Geschichte der Planungskommunikation erhalten, mit denen die aktuellen und zukünftigen Stadtplaner ihre Modelle der Bürgerbeteiligung verbessern können.

 

Kai Knörr

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