Medienumbrüche, Medientreffpunkte. Rückblick auf die Jahrestagung 2012

Die tradierten Medien wie Radio und Fernsehen müssen in der digitalen Welt ihr Verhältnis zum Publikum, ihre ökonomischen Grundlagen, Aufgaben und Funktionen neu definieren. Die Digitalisierung ist dabei nur eine Etappe in einer langen Reihe von Entwicklungen, die seit Jahrzehnten immer wieder zu medialen Umbrüchen führen. Welche prototypischen Strukturen von Medienumbrüchen lassen sich in historischer Perspektive erkennen? Sind Medienumbrüche prognostizierbar, steuerbar oder haben wir es hier mit den stets gleichen Mustern von Veränderungen zu tun? Diese Fragen waren das Thema der Jahrestagung 2012 des Studienkreises.

Die Tagung fand am 8. und 9. Mai in Leipzig statt, eingebettet in den etablierten Medientreffpunkt Mitteldeutschland. Dieser Branchentreff ist mittlerweile ein Event, der namenhafte Medien produzierende und verantwortende Akteure zusammenbringt. Erstmalig gastierte nun beim Leipziger Medientreffpunkt der Studienkreis Rundfunk und Geschichte. Die Synergieeffekte liegen auf der Hand. Wissenschaftler, Politiker, Medienpraktiker und -strategen finden hier ein Forum, um über solche Fragen ins Gespräch zu kommen – ein geeigneter Ort für Diskussionen, Kontroversen und Anregungen.

Mit dem prominent besetzten Einstiegspanel „Umbrüche, die die (Medien)Welt bewegten“ begann die Tagung am Dienstagnachmittag. Ein bißchen wirkte diese Runde wie ein Medien-Rat der Weisen, denn auf dem Podium versammelten sich eine Gruppe gestandener Medienakteure, die an den Entwicklungen der letzten dreißig Jahre in Deutschland maßgeblich beteiligt waren.

Moderiert vom Vorstandsmitglied und ehemaligen Direktor der MSA Halle Christian Schurig diskutierten Prof. Dr. Udo Reiter, (MDR-Intendant a.D.), Prof. Dr. Wolf-Dieter Ring (ehem. Präsident der BLM München), Dipl.-Ing. Peter von Bechen, (Nachrichtentechniker, Red. Funkgeschichte) und Prof. Dr. Heinz Glässgen (Radio Bremen-Intendant a.D., Vorsitzender der Historischen Kommission der ARD) über subjektive und professionelle Perspektiven auf mediale Veränderungsprozesse der letzten Jahrzehnte.

Zuvor verdeutlichte Prof. Dr. Reinhold Viehoff von der MLU Halle-Wittenberg in seiner Keynote einerseits die umwälzenden Dimensionen der digitalen Entwicklung, andererseits problematisierte er die damit verbundenen gesellschaftlichen Herausforderungen, die weit in die Bereiche von Ethik, Recht, Moral und sozialem Zusammenhalt hineinreichen. Wie kann ein Zusammenleben funktionieren, wenn das Netz viele Formen des tradierten Zusammenlebens sprengt bzw. torpediert? Wie sind diese Prozesse steuerbar, wenn noch gar nicht die Rahmenbedingungen formuliert sind, wenn es noch keine funktionierenden Sanktions- oder Gratifikationssysteme gibt, wie die aktuelle Urheberrechtsdebatte zeigt? Wir stehen nicht am Anfang dieser Prozesse, sondern befinden uns mittendrin. Fakt ist jedoch, dass die Entwicklung durch neue Technologien exorbitant vorangetrieben wird.

Reinhold Viehoffs Keynote war ein solides Fundament für das gut besetzte Podium. Zwei Themenkomplexe standen im Mittelpunkt der Diskussion: einerseits die Frage nach den allgemeinen Herausforderungen der Digitalität für die heutige Medienlandschaft. Andererseits die Frage nach ganz persönlich, aber professionell fundierten Einschätzungen, welche Medienumbrüche bedeutend waren. Hier bekam man interessante Einsichten geboten. So wies Heinz Glässgen darauf hin, dass seiner Meinung nach solch eine „Nebensächlichkeit“ wie die Fernbedienung das Medienprogramm (insbes. TV) maßgeblich veränderte. Für Wolf-Dieter Ring waren es die Kabelpilotprojekte als Beginn des Dualen Systems, welche einen signifikanten Medienumbruch darstellten. Einig waren sich alle in der Einschätzung, dass die jetzige Situation, ob Web2.0., neue Speichermedien, virtuelle Beschleunigung oder Diversifizierung, einen gewaltigen Umbruch darstellen.

Nicht nur am Rande wurden auch sehr konkrete Projekte wie DAB/DAB+ diskutiert. Da blieb es letztlich bei den bekannten Positionen. Während Udo Reiter betonte, dass DAB demnächst wohl endgültig zu Grabe getragen werde (er warte nur noch auf die offizielle Beerdigung), sprach sich Christian Schurig wiederholt für den Erfolg dieses Projektes aus. Peter von Bechen wies darauf hin, dass im Interessenfokus der Nutzer nicht so sehr die technologischen Parameter stehen, sondern der Gebrauchswert des Radios oder des Fernsehens. Es kommt also auch in dieser Diskussion darauf an, den inhaltlichen, programmatischen Nutzen und den verbesserten resp. erhöhten Gebrauchswert in den Mittelpunkt zu rücken. Fazit: Zentral ist die Frage, was wir mit dem Netz machen — beschleunigen wir nur, oder verbessern wir Formen unseres Zusammenlebens?

Diese Fragen wurden am darauffolgenden Tag in drei Vortrag-Sessions vertieft. Medienforscher analysierten dabei historische Analogien und Veränderungen. Im Fokus standen Entwicklungen des Schulfunks und der Doku-Fiktion, der magnetischen Bildaufzeichnung und der Informationsgewinnung im Netz, Transformationsprozesse bei amerikanischen Country-Music-Medien sowie bei jugendspezifischen Popwellen, aber auch Prozesse der Zuschauerbeteiligung im sowjetischen TV des Kalten Krieges sowie im heutigen TV-Programm. Die Panelists stellten dabei Zusammenhänge signifikanter Prozesse wie Personalisierung, Konvergenz und Diversifikation dar und reflektieren den Funktionswandel des Rundfunks. Los ging es mit dem Panel „Digitale vs. analoge Faktoren der Mediennutzung“, moderiert von Dr. Gerlinde Frey-Vor. Die Keynote hielt hier Dr. Christa-Maria Ridder (ehem. Media Perspektiven).

Panel 1

Dr. Christa-Maria Ridder: „Mediennutzung im Wandel. Trends aus der ARD/ZDF-Langzeitstudie Massenkommunikation“.

Prof. Dr. Georg Mannsperger: Information at your Fingertips. Veränderungsprozesse des digitalen Zeitalters in Lexikonverlagen als Blueprint für die Informationsvermittlung im Rundfunk

Michael Eble: Hast Du meinen Tweet gesehen? Kommunikationswissenschaftliche Perspektiven auf vernetzte Öffentlichkeiten an der Schnittstelle von Social Web und Fernsehen

Als weiterer Schwerpunkt folgte ein Panel unter dem Titel „Technologie, Format und Funktion im Wandel“, welches von Prof. Dr. Golo Föllmer moderiert wurde.

Panel 2

Prof. Dr. Florian Mundhenke: Medienwandel des Fernsehens als Funktionswandel und Wahrnehmungswandel. Mediale Hybridisierung am Beispiel des Dokumentarischen

Daniela Zetti: Maschinen und Medien. Zum Betrieb von Videorekordern hinter den Kulissen des Fernsehens 1956­1976

Melanie Fritscher: „Kein ›wildes Dauerhören‹ mehr!“ – Das Fernsehen als Chance für den Hörfunk oder als angsteinflößende Konkurrenz?

Last but not least widmete sich das letzte Panel rundfunkhistorischen Entwicklungen unter dem Thema: „Politische Frakturen und mediale Transformationen“. Moderiert wurde dieser Teil der Veranstaltung von Dr. Uwe Breitenborn. Dabei ging es um empirische Fallstudien zum Spannungsverhältnis von Politik und Medien.

Panel 3

Dr. Dietmar Schiller: Country Music Radio revisited. Grand Ole Opry, A Prairie Home Companion und der Radiokrieg gegen die Dixie Chicks

Dr. Heiner Stahl: Jugendradio DT 64. Medienumbrüche und Transformationen 1964 – 1988 – 1993

Anke Hagedorn: Zwischen Sender- und Sendungsbewusstsein. Zur Außen- und Selbstwahrnehmung der Deutschen Welle im Kontext des Kalten Krieges

Dr. Kirsten Bönker: Eine Schöne Neue Welt? Fernsehkonsum und Zuschauerbeteiligung in der späten Sowjetunion

Der Vorstand des Studienkreises sowie die Veranstalter des Medientreffpunktes ziehen auf jeden Fall eine positive Bilanz der Zusammenarbeit. Deshalb ist für das kommende Jahr 2013 eine Wiederholung dieser Kooperation geplant. Zu wünschen wäre dann, dass die Studienkreismitglieder noch reger von diesem komplexen Tagungsangebot Gebrauch machen, da die Verknüpfung von Medienpraxis und historischer Perspektivierung sehr gut gelang. Nachdem in diesem Jahr die Medienumbrüche im Mittelpunkt standen, könnten bei der nächsten Jahrestagung die Konstanten oder Medienkontinuitäten im Zentrum des Interesses stehen.

Uwe Breitenborn

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