Bericht von der Jahrestagung 2017

Mediale Flieh- und Bindungskräfte. Migration, Identität und Medien

Ein Bericht von Uwe Breitenborn

Die 47. Jahrestagung des Studienkreises fand am 8. und 9. Juni 2017 in Kooperation mit der Deutschen Welle (DW) und der Beauftragten der Bundesregierung für Migration, Flüchtlinge und Integration in Bonn statt. Im Mittelpunkt stand die Rolle der Medien in gesellschaftlichen, kulturellen und ökonomischen Vermittlungsprozessen zwischen Migranten und Einheimischen. Wie tragen Medien dazu bei, Konzepte der Heimat zu modellieren, Vergemeinschaftungen zu verändern und neue Identitäten zu konstruieren? Welche Rolle spielten der Auslandsrundfunk, Gastarbeitersendungen, Ethno- und Community-Medien? Welche Beispiele sind formatbildend? Wie wirken sich die transnationale Verbreitung des Rundfunks und der Online-Medien auf diese Prozesse aus? Welche Schlüsse lassen sich aus diesen Medienkulturen für integrationspolitische Prozesse ziehen und wie können integrative Effekte gestärkt werden? Nicht nur diese Fragen wurden im Bonner Schürmann-Bau facettenreich aus historischer und aktueller Perspektive diskutiert. Der Ort der Tagung war bewusst gesetzt, ist doch die Deutsche Welle mit ihren Programmen maßgeblich an diesen Vermittlungsprozessen beteiligt. Genau dies wurde zum Tagungsauftakt durch Johannes Hoffmann, Leiter der Intendanz der Deutschen Welle, herausgestellt. In seiner Keynote skizzierte er die Entwicklungen des DW-Programmangebots im Lichte der letzten Jahre. Deutsche Perspektiven, zumal fachlich kompetente und auf Kooperation abzielende, sind gefragt, gerade auch in Krisenregionen. Das Selbstverständnis der DW habe durch die globalen Umbrüche und Krisenszenarien eine enorme Aktualität erhalten. Hierzu zählen auch der Ausbau der englischsprachigen Programme im Lichte von Brexit und Trump. In Afrika werde die DW hingegen vor allem als “Stimme der Freiheit“ und alternative Informationsquelle geschätzt. Gerade auch bei Flüchtlingsthemen gilt die DW als eine wichtige Quelle in den Zielgebieten, um über Potenziale und Risiken einer Migration nach Deutschland informiert zu sein. Nicht nur imposante Facebook-Reichweiten im arabischen und mittelasiatischen Raum sondern auch über 16,2 Millionen Pageimpressions auf den Internetangeboten der DW wie zum Beispiel www.infomigrants.net belegen dies.
Im ersten Tagungspanel ging es dann zunächst um historische Fokussierungen. Alina Laura Tiews und Hans-Ulrich Wagner vom Hans-Bredow-Institut in Hamburg erinnerten an den schlesischen Unterhaltungskünstler Ludwig Manfred Lommel und seine beispiellose „crossmediale“ Erfolgsgeschichte der zwanziger und dreißiger Jahre. Mit seiner Rundfunkreihe „Paul und Pauline“ wurde er nach dem Zweiten Weltkrieg ein wichtiger Bestandteil der Erinnerungskultur von Vertriebenen. Der „Dialekt als Kulturraum“ wurde zu einer Art Soundscape der Heimat. Martina Egger von der Universität Augsburg sprach über ein ähnlich gelagertes Thema, nämlich über Heimatbilder in den Vertriebenensendungen des Bayerischen Rundfunks (BR) zwischen 1949 und 1970. Am Beispiel der Sendung „Aus der Heimat der Vertriebenen“ referierte sie über die sogenannte Kulturträgerthese, wobei sie die durchaus ambivalente Rolle Herbert Hupkas im BR fokussierte. In der lebhaften Diskussion zu diesen Beiträgen ging es vorrangig um Ähnlichkeiten und Unterschiede zu heutigen Anforderungen. Die Ebenen sollten jedoch differenziert betrachtet werden. So sind beispielsweise politische, religiöse, alltagskulturelle oder diskursive Modelle wie der Landsleute- oder der Opferdiskurs zu unterscheiden. Auch in der damals wie heute beobachtbaren Nicht-Willkommenskultur seien Ähnlichkeiten angelegt. Einen unterhaltsamen Abschluss fand dieses Panel mit Yulia Yurtaeva von der Filmuniversität Babelsberg „Konrad Wolf“, die sich mit dem „Kampf der europäischen Identität(en) beim Eurovision Song Contest“ beschäftigte. In einem historisch angelegten Rundblick hinterfragte sie die Selbstwahrnehmung und die Repräsentationsebenen des ESC, der laut Statuten eine unpolitische Veranstaltung sein will oder soll. Das ist er natürlich nicht, und sie brachte hierfür zahlreiche illustre und amüsante Beispiele nicht nur aus der jüngeren Geschichte.
Nach der Mitgliederversammlung und Vorstandswahl (siehe unten) folgte das Kamingespräch, moderiert von Christian Schurig. Diesmal ging es um Fragen der praktischen Einbindung von Flüchtlingen und Migranten in die Medienarbeit. So fragte Christine Horz von der Uni Greifswald, wo denn Flüchtlinge konkret in die Medienarbeit einbezogen sind? Katja Dummer vom Radio Wuppertal berichtete, dass es gerade seitens der Flüchtlinge ein großes Interesse an lokalen Programmen in deutscher Sprache gebe, auch um die Sprache zu lernen. Johannes Hoffmann betonte, dass die Deutsche Welle sich stets journalistischen Qualitätsstandards (Vier-Augen-Prinzip als Kontrolle auch bei allen fremdsprachigen Beiträgen) verpflichtet fühle, egal wie ressourcenintensiv die Angebote auch sind. Und Sheila Mysorekar von den „Neuen deutschen Medienmachern“ aus Berlin rückte mit der Feststellung, dass niemand gern fliehe, eine Beobachtung in den Mittelpunkt, die viel zu häufig außer Acht gelassen wird.
Der zweite Tag fokussierte in den Beiträgen stärker aktuelle medienpolitische Aspekte. Kiron Patka von der Uni Tübingen wartete zunächst mit ästhetiktheoretischen Vorüberlegungen zu Raumdarstellungen in den Medien auf. Christine Horz kritisierte in ihrem Beitrag unter anderem die permanenten Krisennarrative in der medialen Berichterstattung über Flüchtlinge und Migration und plädierte für eine stärkere Einbindung in die Medienarbeit. Via Skype wurde Larry Moore Macaulay vom Refugee Radio Network zugeschaltet, der sich ebenfalls für eine Dekonstruktion negativer Narrative aussprach und konstatierte, dass wir mittlerweile in einer „post-welcome-Gesellschaft“ leben. Das Finale dieses Panels bestritt Anja Wollenberg von der Medienentwicklungsorganisation m’ct (Media in Cooperation and Transition) mit einem außerordentlich interessanten Einblick in die konkrete Medienarbeit im Irak. Ihre Organisation hilft in insgesamt 14 afrikanischen und asiatischen Ländern beim Aufbau integrativer Medienstrukturen (siehe www.mict-international.org). Derzeit wird mit Unterstützung des Auswärtigen Amtes eine Radiostation in Erbil betrieben, die vor allem in das Gebiet von Mossul sendet. Wollenberg schilderte hier eindrücklich Details dieser komplexen Arbeit. Vor Ort sind viele Fragen der Integration viel dringlicher als bei uns. Kann es einen Versöhnungsprozess durch Medien geben? Wie geht man mit IS-Kollaborateuren um? Wie können, nach den eruptiven und schrecklichen Ereignissen rund um die Herrschaft des Islamischen Staates, Prozesse der Integration und Identität positiv gestärkt werden? Im Zentrum steht hier vor allem konfliktsensitives journalistisches Arbeiten.
Was bleibt von der Tagung? Ein nachdenkliches und anregendes Miteinander im Studienkreis Rundfunk und Geschichte. Eine sensible Reflexion auf Medien und Zeitgeschichte. Der Wunsch, eine griffige und frische Verbindung zwischen Rundfunkhistorie und gegenwartsbezogenen Themen zu schaffen. In Bonn ist dies zumeist gelungen. Nicht nur dem frisch gewählten Vorstand war die Freude über diesen Erfolg anzumerken.

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