E.L. wird 75. Ein Loblied

Edgar Lersch

Der Studienkreis Rundfunk und Geschichte gratuliert seinem Ehrenvorsitzenden Prof. Dr. Edgar Lersch zum Geburtstag! | Foto: Uta Tintemann


E.L. – dahinter „verbirgt“ sich in Rundfunk und Geschichte natürlich Edgar Lersch. Man könnte aber auch nach all den Jahren sagen, dass sich Rundfunk und Geschichte in Edgar Lersch „verbirgt“, denn niemand anders als Edgar Lersch hat wohl in den letzten 40 Jahren so intensiv, so beständig, so kenntnisreich und kritisch, so umfassend und – ja auch – fleißig das Schicksal, den Charakter und die Bedeutung dieser einzigen rundfunkgeschichtlichen Zeitschrift im deutschsprachigen Raum bestimmt und mitbestimmt wie eben Edgar Lersch. Und wenn ich schon einmal dabei bin, dann kann ich diese Einschätzung auch ohne Mühen von der Zeitschrift auf die „Organisation“ dahinter ausweiten, auf den Studienkreis Rundfunk und Geschichte. Dazu später mehr.

Jetzt wird Edgar Lersch in diesem Jahr im Oktober 75 Jahre alt, und das ist dann gerade auch rundfunkgeschichtlich interessant, weil vor 75 Jahren mit der ‚Stunde Null‘ die Geschichte des demokratischen öffentlich-rechtlichen Rundfunks wieder begonnen hat. Wenn sich Edgars Eltern etwas mehr Mühe gemacht hätten, dann könnte der Jubilar eben schon am 3. Juni 1945 um 17.45 Uhr, gleichzeitig mit der Durchsage: „Hier ist Radio Stuttgart, ein Sender der amerikanischen Militärregierung. Wir senden täglich von 11.30 bis 14.00 Uhr und von 18.30 bis 22.00 Uhr auf der Wellenlänge 523 m“, in Ahrweiler das Licht der Welt erblickt haben. So musste er sich aber mit dem 10. Oktober 1945 zufriedengeben, was auch nicht schlecht war, denn da konnte er im Alter von gerade einmal 4 Tagen miterleben, wie am 14. Oktober 1945 das ehemalige Radio Koblenz für die französische Besatzungszone erste Hörfunksendungen ausstrahlte. Edgar Lersch hat im Übrigen – etwas später dann, nämlich 1990 – recherchiert, dass schon am 12. Oktober 1945, also knapp nach seiner Geburt, Radio Stuttgart das erste Hörspiel wieder sendet – „Die Entdeckung Amerikas – Christoph Columbus“. Ob damals in dem beschaulichen Ahrweiler, mitten in den Weinbergen des auslaufenden Ahrtales, jemand wirklich dieses Hörspiel an der Wiege des kleinen Edgar gehört hat – man weiß es nicht. Wahrscheinlich war die Entdeckung der amerikanischen Besatzung und ihrer administrativen Verlautbarungen lebenswichtiger.

Wenn man dem Gedanken von der frühkindlichen Prägung durch Umwelteinflüsse anhängt, dann wäre diese Koinzidenz der Programmereignisse mit dem langsamen Bewusstwerden des Neugeborenen gleichwohl eine Erklärung dafür, dass der Rundfunk und seine Geschichte Edgar Lerschs – wissenschaftliches – Leben dann nicht mehr losgelassen haben.

Trotz solcher rundfunkhistorischen und familiären ‚Umwelteinflüsse‘ war eine solche Karriere als Rundfunkhistoriker allerdings familien- und lebensgeschichtlich nicht von vorne herein programmiert, denn diese medialen Interessen und Kenntnisse haben sich erst auf Umwegen entwickelt. Dazu beigetragen hat vermutlich weniger, dass er nach dem Abitur mit dem Studium der katholischen Theologie begonnen hat, wodurch er – seiner systematischen Neugier folgend – im späteren Leben womöglich in den Archiven das Vatikans verschollen wäre. Zum Glück hat ihn – nach vorhergehenden eigenen Zweifeln –  Irmgard endgültig von einem solchen ‚geistlichen’ (Irr-)Weg abgehalten, mit der er seitdem – und also schon seit langer Zeit – verheiratet ist und mit der er vier Kinder erfolgreich erzogen hat, 1976 Johannes, 1979 Gregor, 1987 Helena und Barbara – vier Kinder! Mein erster akademischer Lehrer, Helmut Kreuzer, selbst ohne Kinder, hat mir – als Vater von drei Kindern – einmal beiläufig, aber respektvoll – in den Kategorien seines Denkens – gesagt: jedes Kind ist wie eine Promotion. Vier Kinder wäre dann, bei Edgar Lersch, Dr. hc. mult., was nicht zu unterschätzen ist!

Nach einigen Semestern Theologie liegt es – pragmatisch – dann für Edgar nahe, in der profanen Laienwelt Studienfächer zu wählen, in denen er Einiges von dem in theologischen Seminaren Gelernten verwerten kann: Philosophie natürlich, Pädagogik sowieso, das gehörte damals zum sogenannten Philosophicum, als Studienfächer aber Geschichte und Religion. Nach dem Abschluss des ersten Staatsexamens absolviert Edgar in Speyer, also in Rheinland-Pfalz und nicht in Baden-Württemberg, sein Referendariat als angehender Studienrat. Eine sehr pragmatische Entscheidung, weil in Rheinland-Pfalz das Referendariat kürzer war. Gleichzeitig und gewiss auch, um nicht auf eine Karriere als Gymnasiallehrer festgelegt zu sein, findet Edgar in dem Osteuropahistoriker Dietrich Geyer, dem damaligen Direktor des Instituts für Osteuropäische Geschichte und Landeskunde an der Universität Tübingen, einen Betreuer, der ihm ein interessantes historisches und politisches Thema zur Dissertation anbietet. Mit der anschließenden Promotion über die auswärtige Kulturpolitik der Sowjetunion in den 1920er Jahren und den intensiven Recherchen in den zugänglichen staatlichen Archiven in Moskau (seit dem Archivaufenthalt in Moskau mit umfassenden Russland- und Russisch-Kenntnissen) entdeckt Edgar dann aber auch sein Faible für das Studium der historischen Quellen und deren sorgfältige, systematische Aufbewahrung und Auswertung. Da die damalige Situation an der Universität in Tübingen keine direkten Perspektiven bietet, entschließt er sich zusätzlich zu einer Ausbildung zum höheren Archivdienst.

Das sind dann unbedingt hinreichende Bedingungen, die Edgar Lersch für die Leitung des historischen Archivs des SDR in Stuttgart – ab 1979 – qualifizieren. In dieser Funktion leitet er, auch noch nach dem 1. Oktober 1998, als der Süddeutsche Rundfunk (SDR) in Stuttgart und der Südwestfunk (SWF) in Baden-Baden im neuen Südwestrundfunk (SWR) aufgingen, das historische Archiv (des SDR) und dokumentiert systematisch und ordnet historisch-kritisch in überaus zahlreichen Publikationen die Geschichte der Stuttgarter Institution ein, ihrer Intendanten, Redaktionen und auch die Entwicklung des Programms. Vor und nach seiner Pensionierung 2010 mischt sich Edgar weit über solche Archivarbeiten hinaus immer in die Diskussionen der historischen Wissenschaft ein, er publiziert zur Rundfunkgeschichte, schreibt wissensgesättigte Handbuchartikel und organisiert Forschungsprojekte mit, wobei er sowohl bei der Deutschen Forschungsgemeinschaft (Fiktionale Geschichtssendungen im DDR-Fernsehen) als auch bei Landesmedienanstalten (Geschichte im Fernsehen) erfolgreich Projekte beantragt und mit umfangreichen Publikationen abschließt. Eine solche wissenschaftliche Karriere als Historiker muss beinahe natürlich in die Übernahme einer Honorarprofessur für Mediengeschichte und Archivkunde der Medien an der Martin-Luther-Universität in Halle/Saale münden, die Edgar 2001 zusätzlich antritt. Ruh- und rastlos übernimmt er nach Erreichen der Altersgrenze sogar noch Lehraufträge am historischen Institut der Universität Stuttgart, um die vielfältigen Erfahrungen mit den didaktisch aufbereiteten rundfunkhistorischen Materialien, die er in seiner Zeit in Halle hat machen können, an die Studierenden in Stuttgart weiterzugeben.

Man könnte sich jetzt zurecht fragen, ob das nicht schon für ein ausgefülltes Familien- und Berufsleben ausreicht, aber da gibt es ja noch den Studienkreis Rundfunk und Geschichte!

Wenn man eine Volltextsuche in den digital vorliegenden Heften von Rundfunk und Geschichte nach Edgar Lersch vornimmt, dann stellt man fest, dass in 88 dieser 126 Hefte Edgar Lersch genannt wird als Autor, als Moderator von Fachgruppen und Organisator von Tagungen, als Mitglied der Redaktion bzw. des Redaktionsbeirates von RuG, als Vorstandsmitglied und als Vorstand, als Schriftführer des Vereins, als fachlicher Betreuer beim Doktorandenkolloquium, als Vortragender auf Jahrestagungen, als Abgesandter des Studienkreises beim Deutschen Historikertag, als Organisator und Herausgeber der Buchreihe „Buch, Buchhandel und Rundfunk“, als Initiator des Wilhelm-Treue-Stipendiums, als Herausgeber von Jahrbüchern des Studienkreises, als Vorbereiter eines Projektes für den Aufbau des Deutschen Rundfunkarchivs – Ost, als Beisitzer des Vorstands, schließlich – 2013 – als Ehrenvorsitzender. Diese Aufzählung beansprucht nicht, vollständig zu sein!

Edgar Lerschs aktive Mitarbeit im Studienkreis Rundfunk und Geschichte lässt sich – quellenkritisch – dadurch rekonstruieren, dass er zum ersten Mal als Autor im Heft 4/1980 erscheint, mit einem Artikel, der ganz aus dem Leben des jungen Archivars gegriffen ist: „Probleme der Programmarchivierung. Dargestellt an Fragen, die sich beim Aufbau des Aktenarchivs beim Süddeutschen Rundfunk ergeben“ (RuG 4/1980, 214–220). Es lohnt sich sogar, diese frühen Überlegungen genau zu lesen, denn Edgar Lersch argumentiert angesichts einer eher unübersichtlichen Vorlage im vorhandenen Archiv des SDR für die Vorzüge einer Provenienzordnung, und zwar ausdrücklich mit dem Hinweis, dass nur so „unter dem Gesichtspunkt der Benutzung zu historisch-wissenschaftlichen Zwecken“ das Archiv bedeutsam werden könne. Er greift also schon in seiner ersten Stellungnahme in den „Mitteilungen“ einen zentralen Gedanken der bis heute andauernden Diskussion um die wissenschaftliche Nutzung der öffentlich-rechtlichen Medienarchive auf.

Aktenkundig wird Edgar Lersch dann zum zweiten Mal als beratender Teilnehmer am 9. Grünberger Doktoranden-Kolloquium am 2. und 3. Mai 1981 (RuG 3/1981, 143 ff.) – wobei er natürlich später immer wieder an den „berühmten“ Grünberger Kolloquien teilgenommen hat, die 1973 mit einer Anschubfinanzierung durch Friedrich Bender (AEG Telefunken) zum ersten Mal in dieser Sporthochschule in Hessen stattfinden konnte.

Als Fachgruppenleiter „Archive und Dokumentation“ seit 1981 nimmt er früh auch an den Sitzungen des Gründungsvorstandes teil. Das war die Zeit der ersten Generation: Walter Först, Winfried B. Lerg, Friedrich P. Kahlenberg, Wilhelm Treue, Walter Bruch, Harald Heckmann, Wolfgang Hempel … und das war auch die Zeit, in der bei den Vorstandssitzungen selbstverständlich geraucht wurde, was Tabak und Pfeife hergaben, und im Übrigen waren sich die Herren meistens einig. Nicht nur unter dem Qualm hat Edgar gelitten, wenn er an solchen Sitzungen teilnahm – „Außerdem gab es mir zu wenig Kontakt und Austausch mit gleichgerichteten Fachgesellschaften und Wissenschaftseinrichtungen. Doch gegen den vorherrschenden Konsens konnte ich keine Punkte machen“ (RuG 1–2/2019, 43).

Als langjähriger Leiter der Fachgruppe „Archive und Dokumentation“ – von 1981 bis 1996 – berichtet Edgar Lersch dann regelmäßig in RuG über deren Aktivitäten, die er – umtriebig und fruchtbar für alle Seiten – später mit seiner Arbeit (als Geschäftsführer) in der „Historischen Kommission“ von ARD und ZDF (von 1986 – 2010 ) verbinden kann und so einige der „Punkte“ seiner Mängelliste en passant in persona verwirklicht.

Edgar Lersch hat in seiner Notiz zu den „Erinnerungen an 50 Jahre Studienkreis“ (RuG 1–2/2019, 42–44) unter dem Titel „Die denkwürdigen Vorstandswahlen 1991“ geschildert, wie er – eben 1991 – dann plötzlich und unverhofft zum Schriftführer des Studienkreises avanciert ist. Mit dieser „denkwürdigen“ Wahl war für den Studienkreis auch ein Generationenwechsel verbunden. Dieser Generationswechsel hat sich in den folgenden Jahren nach 1991 stabilisiert durch Edgars Mitarbeit im Vorstand – bis 2003, da wurde er nämlich auch für zwei Jahre Vorsitzender des Studienkreises. Die Jahrestagung 2003 im „Haus des Rundfunks“ in Berlin, von diesem Vorsitzenden initiiert, widmete sich höchst innovativ der Frage, welche „Idee“ in unterschiedlichen Nationen in den zwanziger Jahren des vergangenen Jahrhunderts eigentlich mit der Gründung und Etablierung des öffentlichen Rundfunks verbunden war. In den Beiträgen auf der Tagung und in den anschließend von Edgar Lersch und Helmut Schanze herausgegebenen Jahrbuch Medien und Geschichte des Studienkreises 2004 (Konstanz 2004) rekonstruieren renommierte Rundfunk- und Medienhistoriker, welche „Gründungsmythen“ jeweils wirkmächtig geworden sind, und wie sich diese nationalen Mythen voneinander auch unterscheiden. Diese Publikation des Studienkreises markiert einen wichtigen Anstoß für die komparative Rundfunkforschung und -geschichte.

In Heft 3–4/2010 von RuG kann man die Vorträge nachlesen, die zur Verabschiedung von E.L. in den Ruhestand (als Leiter des historischen Archivs beim SWR) am 18. Oktober 2010 in Stuttgart gehalten worden sind. Unter den Vortragenden waren dann auch solche, die Edgar Lersch in seinem „Studienkreisleben“ als Kollegen und Freunde begleitet haben und begleiten: Konrad Dussel, Michael Crone …, man müsste gewiss auch andere hinzufügen – Ansgar Diller, Heiner Schmitt, Walter Klingler, Rüdiger Steinmetz, Wolfgang Hempel. Alle Nichtgenannten sollten sich auch genannt fühlen, denn so ein Leben im Studienkreis geht auch besonders gut oder überhaupt nur mit – manchmal lebenslangen – Freundschaften einher.

Diese Verabschiedung ist nun schon wieder 10 Jahre her. Inzwischen gehört Edgar jetzt selbst irgendwie zu den „Altvorderen“ als Ehrenvorsitzender des Vereins.

Soviel zur „Institutionengeschichte“ des Studienkreises und meiner Anfangsbemerkung, dass es kaum ein anderes aktives Mitglied gibt, das so ausdauernd, engagiert und mit Geduld Schicksal, Charakter und Bedeutung des Studienkreises beeinflusst hat und beeinflusst wie eben Edgar Lersch. Allerdings: auch weiterhin beeinflusst. Denn eine Würdigung dieser so erfolgreichen Verbindung von E.L. und dem Studienkreis wäre ganz unvollständig, wenn nicht seine beständige kritische Rezensionstätigkeit in den Mitteilungen und dem späteren RuG hier mit in den Blick genommen würde. Einen Band mit den gesammelten Rezensionen zusammenzustellen und herauszugeben, das wäre doch noch ein Projekt. Vielleicht würden das sogar zwei Bände. Warten wir einmal, was wir da noch von E.L. bekommen!

Reinhold Viehoff

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