Bericht vom Medienhistorischen Forum 2021

Das Medienhistorische Forum 2021 musste pandemiebedingt erneut als Videoschalte mit den damit verbundenen Vor- und Nachteilen stattfinden. Teilnehmer*innen und Veranstalter*innen von Studienkreis Rundfunk und Geschichte sowie der Fach- und Nachwuchsgruppe Kommunikationsgeschichte der DGPuK können aber auf eine vielfältige und inspirierende Veranstaltung zurückblicken. Mit sechs Vorträgen kehrte das Medienhistorische Forum nach dem enormen Zulauf im ‚Coronajahr‘ 2020 erst einmal wieder auf das Normalmaß einer kleineren Konferenz zurück, was allerdings auch den Vorteil intensiverer Präsentationen und Gespräche über die Forschungsthemen und Konzepte mit sich brachte.

Screenshot des Medienhistorischen Forums vom 13.11.2021 in Zoom

Den ersten Impuls gab Maximilian Brockhaus, der seit 2021 am Institut für Zeitgeschichte der Universität Wien zum deutschsprachigen Schulfernsehen zwischen 1960 und 1990 forscht und sich hier insbesondere auch für den Einsatz des Fernsehens im Unterricht interessiert. Eingebettet ist sein Dissertationsprojekt in public history-Konzepte, die sich auf Methoden multimedialer Geschichtsvermittlung beziehen, aber auch die Rolle und den Einsatz von Massenmedien bei der Konstituierung nationaler Identität sowie als Instrument nationaler und europäischer Geschichts- und Bildungspolitik untersuchen. Brockhaus will die bildungs- und ordnungspolitischen Strategien Österreichs, der Bundesrepublik und der DDR über deren Schulfernsehen vergleichen. Das Projekt erscheint nicht allein aus medienhistorischer Perspektive interessant, erwartet werden auch neue Details über Gründungsmythen und zum Selbstverständnis der Nachkriegsstaaten und zu transnationaler Programmkoordinierung. Unterschiede der Nachkriegsstaaten im Umgang mit NS-Vergangenheit und Holocaust dürften sich schlaglichtartig zeigen (s. auch Dissertationsprojekte).

Am Fachbereich Kommunikationswissenschaft der Universität Salzburg verfolgt Jannik Kretschmer das faszinierende Vorhaben, die Geschichte der Digitalisierung über Theorien zur Mode zu entschlüsseln, wie sie etwa von der Soziologin Elena Esposito vertreten werden. Nicht die blanke Technikgeschichte steht für Kretschmer im Vordergrund, sondern die Konjunkturen des Digitalisierungs-Begriffs im 20 und frühen 21. Jahrhundert. Die exponentielle Ausbreitung von Computern und den damit verbundenen Wandel begleiteten modische Zyklen, in denen vor allem gesellschaftliche Erwartungen, wie digitale Technologien das Leben verändern, thematisiert wurden. Dies konnte gelingen, indem die modischen Wellen mit wechselnden Digitalisierungs-Begriffen und -erzählungen zusammengebracht wurden, die man gerade für zugkräftig hielt. So konnte die Entwicklung mal mit Vernetzung, Kybernetik, Gemeinschaft, Transhumanismus oder Disruption verbunden werden, wobei sich die Konzepte nicht selten von Versprechungen in dystopische Vorstellungen verwandelten.

Malte Fischer berichtete über seine PhD Thesis, die er an der Radboud University Nijmegen vorbereitet und dies derzeit durch einen Forschungsaufenthalt am Lehrstuhl für Europäische Geschichte des 20. Jahrhunderts an der HU Berlin ergänzt. Sein Thema sind populäre Formen der Interaktion zwischen Bürger*innen und Politiker*innen im Rundfunk der 1950er bis 1980er Jahre. In Sendereihen wie „Wo uns der Schuh drückt“ (NWDR/SFB 1951-1969), Bürger fragen – Politiker antworten (ZDF, ab 1976), den berühmten RIAS-Schulklassengesprächen („Prominente zu Gast“, RIAS 1951-1991) oder „Jetzt red I“ vom Bayerischen Rundfunk (ab 1971) stellten die öffentlich-rechtlichen Sender eine Verbindung zwischen den politisch Verantwortlichen und „gewöhnlichen“ Bürger*innen her. Welche Effekte dabei den Institutionen zukam, was hier die Praxis des (Live-) Sendens bedeutete und welche Auswirkungen ein solches empowerment – lange vor der Verfügbarkeit Sozialer Medien – auf das demokratische Selbstverständnis in den westeuropäischen Nachkriegsgesellschaften hatte, sind für Malte Fischer von Interesse.

Den zweiten Konferenztag eröffnete Jo Marie Dominiak, die an der Universität Münster der interessanten Frage nachgeht, inwieweit die Musikrezeption im Laufe der vergangenen dreißig Jahre als Prozess individueller Aneignung zu verstehen ist: „Musikrezeption im Wandel – Medienaneignung und Mediennutzung im Zuge musikmedialer Mediatisierungsdynamiken“ wurden beleuchtet. Wobei Jo Marie Dominiak nicht außer Acht gelassen hat, dass die Aneignung historisch über den Besitz von technischen Gadgets wie dem Walkman oder Tonträgern wie Cassetten und CDs passierte, während heute die Suggestion scheinbar unbegrenzter Verfügbarkeit in digitalen Online-Datenbanken und algorithmische Verkoppelung den Musikgebrauch prägt. Inwieweit medientechnologische Übergangsphasen durch Veränderungen in Verhältnissen von Eigentum und Nutzung, Macht und Autonomie gekennzeichnet waren und sind, interessiert die Forscherin.

Einen Blick in seine Dissertation kurz vor deren Verteidigung gewährte Janosik Herder von der Universität Osnabrück. Die Arbeit vermittelt thematisch zwischen Kommunikationsgeschichte und Medientheorie, indem er mit dem Siegeszug der Telegrafie und damit codierter Kommunikation zugleich als Anfang einer digitalen Kultur identifiziert. Die moderne Idee von Kommunikation setzt für ihn bereits mit Etablierung der optischen Telegrafie Claude Chappes unter Napoleon ein, und damit in einem dezidiert modernen militär-administrativem Rahmen zu Beginn des 19. Jahrhunderts. Wie sich durch den Gebrauch der Telegrafie zugleich der Begriff der Kommunikation festigte und der Diskurs der Telegrafie die kybernetischen Kommunikationstheorien der 1940erJahre (Norbert Wiener, Claude Shannon/Warren Weaver) beeinflusste, wurde erörtert.

Sabine H. Thöle referierte zum Abschluss der Konferenz über ihr Promotionsprojekt am ZeMKI der Universität Bremen über die Journalistin Martha Maria Gehrke (1894-1985).  Vor allem über die Artikel der Weltbühne re- und dekonstruiert Sabine H. Thöle Gehrkes Konstruktionen von Weiblichkeit und Männlichkeit. Im Fokus stehen Gehrkes Entwicklung geschlechtlich differenter Pseudonyme speziell in der Weltbühne, um darüber mit einem ganz bewussten Habitus Diskurse der Weimarer Republik, wie den §218, in ihrem Kommunikationsprozess auszuhandeln. In ihrem Vortrag konnte Sabine H. Thöle auch den bisherigen androzentrischen Forschungsblick auf die Weltbühne aufzeigen. In der Ausbildung ihrer Pseudonyme orientierte sich Gehrke performativ an den konstruierten bürgerlichen „Geschlechtercharaktere“ des 19. Jahrhunderts.

Programm

Freitag, 12. November 2021

14:30Anmeldung der Teilnehmenden
 
14:45Begrüßung und Vorstellungsrunde
 
15:00 – 15:50Janosik Herder (Uni Osnabrück)
Die optische Telegrafie und die Geburt der Kommunikation – Überlegungen zur Vorgeschichte der digitalen Gesellschaft
Moderation: Kai Knörr
 
15:50 – 16:40Jannik Kretschmer (Uni Salzburg)
Narrative der Digitalisierung – Historische Genese und modische Pluralisierung
Moderation: Christian Schwarzenegger
 
16:40Pause
 
17:00 – 17:50Malte Fischer (Uni Nijmegen / HU Berlin)
Democracy on Air? The Interaction between Citizens and Politicians in West German Public Broadcasting 1950s–1980s [Vortrag wurde in dt. Sprache gehalten]
Moderation: Christoph Classen
 
17:50Zwischenfazit, Abmoderation
 

Samstag, 13. November 2021

10:00Technik-Einrichtung im Zoom-Raum, kurze Begrüßung
 
10:10 – 11:00Jo Marie Dominiak (Universität Münster)
Musikrezeption im Wandel – Medienaneignung und Mediennutzung im Zuge musikmedialer Mediatisierungsdynamiken
Moderation: Alexander Badenoch
 
11:00 – 11:50Maximilian Brockhaus (Universität Wien)
Fernsehen im Unterricht – Das Schulfernsehen als Instrument nationaler und europäischer Geschichts- und Bildungspolitik
Moderation: Elisa Pollack
 
11:40Mittagspause
 
12:30 – 13:20Sabine H. Thöle (Universität Bremen)
Eine kommunikationsbiographische Studie – Weiblichkeits- und Männlichkeitskonstruktionen in Veröffentlichungen der Journalistin Martha Maria Gehrke (1894-1985)
Moderation: Erik Koenen
 
13:20Schlussrunde, Gruppen-Screenshot und Abfrage Einwilligung zum Mailverteiler zwecks Vernetzung
 
13:45Ausklang Medienhistorisches Forum 2021
 

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