Bericht zur 49. Jahrestagung

Translation – Übertragung – Transmission. Übersetzungsleistungen des Rundfunks in historischer und aktueller Perspektive

Die 49. Jahrestagung des Studienkreises Rundfunk und Geschichte in Kooperation mit dem Südwestrundfunk und ARTE in Baden-Baden | Strasbourg am 13. und 14. Juni 2019

Ein Bericht von Uwe Breitenborn 

Der Studienkreis konnte zur Jahrestagung im 50. Jahr seines Bestehens den SWR und ARTE als Kooperationspartner gewinnen, was der Veranstaltung eine hervorragende Ausgangslage bescherte. Der Südwestrundfunk und ganz besonders ARTE stehen für Programmangebote, die in einem hohen Maße Übersetzungsleistungen anbieten, um ihre Angebote für ein Publikum verstehbar und attraktiv zu machen. Welche Bedeutungen sind übertragbar, bei welchen gelingt das nicht? Wo entstehen im Vorgang der Medienvermittlung neue Kontexte? Wer spricht für wen und inwiefern können Übersetzungen zur Verstärkung von Stimmen oder zu deren Verstummen beitragen? Welche Sprachen und kommunikativen Formen dienen den Übertragungen? Mit einer Keynote und 10 Fachvorträgen versuchte die Konferenz in Baden-Baden und Straßburg, Antworten auf diese Fragen zu geben.

Nach der ordentlichen Mitgliederversammlung wurden die Teilnehmer durch den frisch gewählten Vorsitzenden des Studienkreises Kai Knörr sowie von Gerold Hug, dem Programmdirektor Kultur, Wissen, Junge Formate des SWR begrüßt. Letzterer betonte hinsichtlich des Tagungsthemas, dass auch beim SWR viel Neues geschaffen werde, um den Anforderungen heutiger Mediennutzungen gerecht zu werden. Themen stünden zunehmend stärker im Vordergrund, hingegen verlören die klassischen Ausspielwege zunehmend an Bedeutung. Die Keynote zur Tagung hielt der Übersetzer und Vorsitzende der Kurt-Tucholsky-Gesellschaft Ian King aus London. Er bezeichnete sich als Brückenbauer, als ein Vermittler zwischen den Kulturen. Übersetzungen benötigen immer Kontext. Übersetzer und Übersetzerinnen haben, so King, keine Berechtigung, aus moralischen Gründen das Original zu verändern. Er erläuterte diese These an teils „abenteuerlichen“ Übersetzungen von Thomas Manns „Buddenbrooks“ ins Englische durch Helen Tracy Lowe-Porter, die ihren englischen Lesern beispielsweise beim Begriff „St. Pauli“ lediglich die Assoziation einer Kirche zugestand.Mit einem sarkastischen Seitenblick auf das Brexit-Drama zog Ian King ein lakonisches Fazit: Wenn dir eine Übersetzung sinnlos erscheine, dann sei sie falsch. Auch Tucholsky, so King, galt als scharfer Kritiker mangelhafter Übersetzungsleistungen und ihrer Folgen. Das passte also sehr gut als Auftakt.

Das erste Panel trug den Titel „Das Rumoren der Archive“und wurde von Alexander Badenoch (Utrecht) moderiert. Dafür konnten unter anderem zwei Teilnehmer gewonnen werden, die bereits am Medienhistorischen Forum des Studienkreises teilgenommen hatten. Stephan Summers (Mainz)und Valentin Bardet (Paris) widmeten sich zwei rundfunkhistorischen Themen.Ersterer beleuchtete das Bild der US-Besatzer im Nachkriegsdeutschland im Radio. Als Basis diente ihm unter anderem eine Analyse des Agendasettings in Rundfunkzeitschriften nach 1945 („Radiospiegel“). Um die USA als Kulturnation zu präsentieren, wurden zum Beispiel Analogien zwischen Abraham Lincoln und Richard Wagner hergestellt und massiv am Image der USA als befreundeter Kulturnation gearbeitet. Allerdings wurde die Idee, die (E-)Musikprogramme beispielsweise mit Jazz zu internationalisieren, von der deutschen Musikkritik zum Teil bizarr interpretiert. Ein ähnliches Thema bediente Valentin Bardet, der sich der Musik als politischer Sprache zuwendete und über Musiktransfer und französische Musikpolitik im besetzten Deutschland (1945-1955) referierte. Das Konzept „Sortie de guerre“ ist hierbei ein Ansatz, das Ende eines Krieges als Prozess zu verstehen, in dem die gesamte Gesellschaft involviert wird. Dies schafft Möglichkeiten für kulturelle Übersetzungsleistungen aber auch für Neuanfänge. Mit Rabea Limbachs (SWR) Beitrag wurde ein praxisorientierter Brückenschlag zwischen Programmgeschichte und digitaler Gegenwart vollzogen.Sie stellte in einer Art Werkstattbericht das SWR-Projekt „Audiovisuelles Kulturerbe: Online-Zugang zu den Archiven“ vor, bei dem ab Oktober 2019 bis zu 8.000 sogenannte Fernsehessenzen aus den fünfziger und sechziger Jahren über den SWR-Channel in der ARD-Mediathek zu sehen sein werden. Verantwortlich dafür ist die Hauptabteilung Information Dokumentation und Archive (IDA). Erwartungsgemäß ist das natürlich hochkomplex und hat zudem Pilotcharakter. Die Präsentation stieß auf ein reges Interesse. Rabea Limbach schilderte zahlreiche Übersetzungsleistungen, die das IDA-Team erbringen muss. Das beginnt bei den juristischen Rahmenbedingen und der simplen Frage, wer bei diesen historischen audiovisuellen Dokumenten noch Rechte geltend machen kann. Technische und kommunikative Fragen sind ebenso im Fokus des Teams. Stichwortartig seien genannt: Bestandsauswahl, Kuratierung von Metadaten, Digitalisierung von Formaten für die Streaming-Server, Übersetzung des normierten Vokabulars der Datenbanken für eine Streamingnutzung. Der Studienkreis Rundfunk und Geschichte hält dieses vielversprechende Pilotprojekt für unterstützenswert und formulierte zum Tagungsende auch eine Stellungnahme (Audio-visuelles Kulturgut ins Internet!). Das Öffnen der Archive ist zunehmend ein wichtiger Aspekt zur Legitimierung der öffentlich-rechtlichen Medien.

Das zweite Panel fokussierte Übersetzungskulturen im „Künstlerischen Wort“ und wurde von Golo Föllmer (Berlin) moderiert. Los ging’s mit Hans-Ulrich Wagner vom Hamburger Leibniz-Institut für Medienforschung|Hans-Bredow-Institut, der anhand der Features „Der 29. Januar“ (NWDR 1947) und „The 29th of January“ (BBC 1948) Translationsprozesse in einem internationalen Vergleich beleuchtete. Wagner will damit einen Beitrag zu den so genannten Entangled Media Histories leisten. Mit Verweis auf die Genome-Datenbank der BBC konstatierte er, dass die BBC-Fassung die deutschen Tendenzen zur „Selbstviktimisierung“ in der Ernst-Schnabel-Vorlage ausbremste und dieser eine eigene Haltung entgegensetzte. In einer außerordentlich unterhaltsamen Art und Weise stellte der SWR-Redakteur Michael Lissekdas „Nischenprodukt“ Radioessay (SWR 2) vor. Radio sei ein „poetischer Apparat“, so Lissek. Aber zugleich gäbe es im Hörspiel- und Featurebereich starke Bezüge von Radio und Hörsaal. Die „Dissemination des Akademischen im Radioessay“ erfordere in der Regel eine Übersetzung von Schwerverständlichkeit in Leichtverständlichkeit unter der Bedingung der für das Radio geltenden Regel des erst- bzw. einmaligen Hörens. Oft gehe es im akademischen Raum mehr um Distinktion als um Kommunikation, stellte Lissek fest. Die tradierte akademische Kommunikation geschehe in Texten, deren Performance kaum hinterfragt würde. Was wiederum hat das Radio als rein akustisches Medium mit Schreiben und Lesen zu tun? Im Radio werden Texte zu akustischen Ereignissen, was Michael Lissek so zusammenfasste: „Ich sende kein Wort. Ich sende Klang.“ Wenn der sogenannte driveway moment eintrete, dann funktioniere für ihn das Medium. Ähnlich unterhaltsam trat der SWR-Redakteur Walter Filz mit seiner kritischen Analyse der Paradoxien des Voiceovers als gängiger Praxis im Umgang mit fremdsprachigen O-Tönen im Hörfunk auf. Niemand habe sich, im Gegensatz zur Synchronisation beim Film, hier bisher gründlich mit historischen Entwicklungen beschäftigt. Wann hat die Praxis des Voiceover angefangen? Welche kulturellen Hegemonialstrategien verbergen sich dahinter? In einem akustisch anekdotischen Panorama präsentierte Walter Filz Perlen der Voiceover-Geschichte, die von einer 1947er „Wochenschau“ („Einweihung des Senders in Koblenz“), über Orson Welles, „Wie geht’s Kuba?“, „Israel Zangwill – Ein Ghettoträumer“ von Ruth Fruchtmann, dem „Bosnienblues“, Dylan Thomas, Comedians in Afrika bis hin zu Missionsstationen in Ecuador reichten. Letztlich gehe er als Radiomacher immer von der „Einheit des Hörraums“ aus. In Sachen Voiceover gäbe es dazu aber keine guten, sondern nur „nicht ganz so schlechte“ Antworten. Wenn man was nicht machen könne, kann man’s wenigstens thematisieren, so sein Fazit, das als Appell an eine reflektiertere Praxis und Forschung zu verstehen war.

Zu den guten Traditionen der Jahrestagungen zählen die, inzwischen mit einem leichten Augenzwinkern, so genannten „Kamingespräche“. Das diesjährige fand vor dem Hintergrund des 50-jährigen Bestehens des Studienkreises Rundfunk und Geschichte als „Kaminrunde“ unter akustisch perfekten Bedingungen und in einem gemütlichen Ambiente im “Friedrich-Bischoff-Hörspielstudio“ des SWR statt. Moderiert von Christian Schurig und Kai Knörr hatten auf dem Podium Wolfgang Hempel, Christoph Classen, Gerlinde Frey-Vor und Rüdiger Steinmetz Platz genommen. Zunächst drehte sich der Talk um die „Geburt“ des Studienkreises. Hier war insbesondere Gründungsmitglied Wolfgang Hempel gefragt, der unter anderem das damalige Verhältnis des neuen Vereins zu den öffentlich-rechtlichen Anstalten reflektierte. Die Motivation der damaligen Protagonisten lag vor allem im Bewusstmachen der Bedeutung von Rundfunkgeschichte (vulgo: Unternehmensgeschichte der Sender) als kulturelles Erbe der Gesellschaft, das es zu bewahren, kuratieren und erforschen gilt. Gleichzeitig war der Studienkreis auch ein Forum für junge Wissenschaftler, die allgemeiner die Geschichte der elektronischen Medien als eigene Forschungsdisziplin etablieren wollten. Bemerkenswert war ein zweiter, breit diskutierter Punkt: die Forderung nach einer kritischen Neubewertung der Umbrüche von 1989/90 in der DDR und der Nachwendezeit. Rüdiger Steinmetz konstatierte eine problematische Ignoranz gegenüber dem audiovisuellen Erbe der DDR, was Gerlinde Frey-Vor bestätigte. Christoph Classensah die Zukunft des Studienkreises darin, Digitalisierungsprozesse, die Geschichte der digitalen Medien, die Zugänglichkeit des audiovisuellen Erbes in den Archiven und gut funktionierende Darstellungsformate für Bildung und Wissenschaft stärker in den Blick zu nehmen. Zudem sollte das Profil der Zeitschrift „Rundfunk und Geschichte“ geschärft werden.

Der zweite Konferenztag (14. Juni) stand ganz im Zeichen des Fernsehens. Ein Panel zu „Fernseh-Übersetzungen“ startete unter Moderation von Judith Kretzschmar (Leipzig). Gerlinde Frey-Vor vom MDR zeigte am Beispiel der britischen Langzeitfernsehserie „Coronation Street“ (seit 1960), wie ein Format in eine andere Fernsehkultur übersetzt wurde und wird. Hans W. Geißendörfers „Lindenstraße“ (seit 1985) sei von dieser Serie inspiriert gewesen und gelte als deutsche Adaption des britischen Formates. Monika Weiß (Heidelberg) fokussierte so genannte „Living-History-Formate“ und ihre Bedeutung bei der Vermittlung von kulturhistorischen Themen. Als Beispiele wurden „The 1900 House“ (Channel 4, 1999), „Frontier House“ (PBS 2002) und „Schwarzwaldhaus 1902“ (SWR 2002) eingebracht. Translationsleistungen sind hier hinsichtlich Alltagsgeschichte, Regionalität und nationaler Verortung des Fernsehens zu finden.

Den Abschluss der Tagung bildete eine Tagungsexkursion nach Strasbourgzu ARTE. Nach einer sehr ansprechenden Führung durch die Nachrichtenredaktion und Fernsehstudiosstellte Nicolas Beckers, Abteilungsleiter des Sprachendienstes bei ARTE, die linguistische Arbeit im Sender vor. Seine Abteilung sorgt nicht nur dafür, dass das Programm zweisprachig funktioniert, sondern dass ARTE auch die Bildung einer europäischen Öffentlichkeit voranbringt. Voraussetzung hierfür sind Formate, die online gleichzeitig in Sprachen wie Englisch, Spanisch, Polnisch und Italienisch verfügbar sind. ARTE versteht dies explizit als eine Weiterentwicklung seines Programms für ganz Europa. Neue NMT-Technologien (NMT: Neural Machine Translation) können die Arbeit beschleunigen, aber für Nicolas Beckers besteht kein Zweifel, dass der menschliche Faktor für gelungene Übersetzungen unersetzlich bleibt. Abschließend präsentierteder Programmverantwortliche und Leitende Redakteur der Hauptabteilung Wissen|Connaissance Peter Gottschalk zwei Produktionen aus seiner Redaktion, die die aufwendigen Translationsprozesse der ARTE-Formate gut veranschaulichten. Es handelte sich dabei um„Der Krieg, die Träume, unsere Sprachen“ (2018) und „Das kurze, mutige Leben des Herschel Grünspan“ (2008). Beide erweitern den Horizont einer neuen, transnationalen Geschichtsschreibung, indem sie aus einem Mosaik individueller Perspektiven zu einem gesamteuropäischen Panorama kommen.

Was bleibt von dieser Tagung? Ein nachdenkliches und vitales Miteinander im Studienkreis Rundfunk und Geschichte. Das Bewusstsein und der Wunsch, die Bedeutung der Rundfunkhistorie für Gesellschaftsanalysen wachzuhalten. In Baden-Baden ist dies gelungen. Nicht nur dem frisch gewählten Vorstand war wieder einmal die Freude über diesen Erfolg anzumerken. Angekündigt wurde übrigens auch, dass die 50. Jahrestagung 2020 beim Grimme-Institut in Marl stattfinden soll. Ebenfalls ein medienhistorisch bedeutender und daher vielversprechender Ort.

Neuer Vorstand des Studienkreises gewählt
Die ordentliche Mitgliederversammlung wählte am 13. Juni 2019 den neuen Vorstand des Studienkreises. Insgesamt waren 23 stimmberechtigte Mitglieder auf der Tagung anwesend. Als neuer Vorsitzender fungiert Dr. Kai Knörr (Potsdam). Der Studienkreis dankte Prof. Dr. Alexander Badenoch (Utrecht) herzlich für seine zweijährige Tätigkeit als Vorsitzender, in der der Verein trotz teilweise schwieriger Bedingungen gut Kurs hielt und stabilisiert werden konnte. Als neue Stellvertreter wurden Dr. Judith Kretzschmar(Leipzig) und Dr. Kiron Patka (Tübingen) gewählt. Schatzmeister bleibt Dr. Veit Scheller (ZDF Mainz), als Schriftführer wurde Dr. Uwe Breitenborn(Berlin) wiedergewählt. Dem neu gewählten Vorstand gehören weiterhin PD Dr. Golo Föllmer (Berlin), Christian Schurig (Stuttgart), PD Dr. Gerlinde Frey-Vor (MDR Leipzig) und Dr. Christoph Classen (ZZF Potsdam) sowie als Vertreterin des DRA Susanne Hennings an. Kassenprüfer sind erneut Prof. Dr. Michael Crone (Frankfurt) und Dr. Heiner Schmitt (Ingelheim). Als kooptierte Mitglieder des Vorstandes wurden noch auf der Sitzung Dr. Hans Ulrich Wagner (Hamburg) und Prof. Dr. Alexander Badenoch benannt.

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