Die beiden, durch einen gemeinsamen Obertitel und eine gemeinsame Kapitelzählung zusammengehaltenen, umfangreichen Bände stellen einen hohen Anspruch. Leif Kramp hat sich einer Doppelaufgabe gestellt. Zum einen sucht er, die Rolle des „Fernsehens“ in einem Kontext zu bestimmen, der geläufigerweise „Erinnerungskultur“ mit ihren vielfältigen Facetten genannt wird, zum anderen, die Probleme der Archivierung und Präsentation des „Fernseherbes“ in Deutschland im internationalen Kontext aufzuarbeiten, im Vergleich mit der nordamerikanischen Situation, die ebenfalls hoch komplex genannt werden muss. Im Mittelpunkt stehen im zweiten Band die Konzepte, Pläne und Schicksale einer „Deutschen Mediathek“. Der Rezensent aber muss vorab sagen, dass die Arbeit, trotz ihres Umfangs und der Vielzahl an Perspektiven, aus seiner Sicht zentrale Positionen und Entwicklungen historischer Fernseh- und Medienforschung faktisch ausblendet. Wenn im ersten der beiden Bände die „Gedächtnisrelevanz“ eines Mediums erörtert wird, so sollten hier die Fragen der Fernsehgeschichtsschreibung, ihres Verhältnisses zur Archivierung und zur Nutzung der archivierten Materialien durch die Wissenschaft, im zweiten deren öffentliche Re-Präsentation im Vordergrund stehen. Hier ist die „Deutsche Mediathek“ in der Tat ein Ansatz gewesen, der von Anbeginn in seiner historischen Kanonbildung als problematisch angesehen und durch die Medienentwicklung selber faktisch überholt worden ist. Gleichwohl verdient die Arbeit insgesamt eine aufmerksame, kritische Lektüre, da sie auch die Selbstkritik der Rundfunk- und Fernsehgeschichte und der Geschichte ihrer „Musealisierung“ einfordert. Diese muss die Fragen nach der Möglichkeit und den Grenzen von Mediengeschichte und Medienmuseum auch an sich selber stellen und ihre Probleme aus der Rückschau offen benennen. Hier bleibt dem Rezensenten in der Zeitschrift des Studienkreises Rundfunk und Geschichte, auf dessen Berliner Jahrestagung im Mai 2009 der Verfasser mit einem höchst aufschlussreichen und viel beachteten Referat aufgetreten ist, vorliegend nur eine knappe Inhaltsangabe des umfangreichen, kompendiösen Werks. Wenn gleichwohl eine kritische Würdigung des Geleisteten versucht wird, so bezieht sie sich weniger auf – im übrigen sehr seltene – Monita, sondern auf die Frage der Kohärenz der beiden Teile sowie auf die offenen Probleme und Perspektiven einer Mediengeschichtsschreibung und deren Bezug zu einem deutschen „Museum of Broadcasting“.
„Fernsehen“, so sieht es (auch) der Verfasser, ist angelegt als Verbreitungsmedium. Als Agentur der Öffentlichkeit hat es keine eigenen Inhalte, auch wenn es deren Produktion beauftragt, auswählt, redaktionell betreut, sendet und damit deren Rezeption verändert. Die technische Audiovision hat im 20. Jahrhundert entscheidend zum Wandel unserer Wahrnehmungsmöglichkeiten beigetragen. Dies ist unbestritten. Als Medium, das sein Material, Filme aller Art, täglich versendet, aber hat das „Fernsehen“, so die leidvolle Erfahrung seiner Geschichtsschreiber, seinen Beitrag zu einer Kultur der Erinnerung zumeist nur als Anhang seiner ohnehin nur spärlich bedachten Bildungsaufgabe verstanden. Wie und auf welche Weise Hörfunk und Fernsehen sich ihrer Inhalte – der für es alten Medien des Buchs, des Theaters, des Films – bemächtigt haben, und wie sie im Zeitalter des Internets von diesem neuen Medium im Vollsinn des Wortes beerbt worden sind, ist die zentrale Frage einer Geschichte des Rundfunks im Kontext der Mediengeschichte. Ob der Fernsehrundfunk je selber ein Gedächtnis entwickelt hat, ein Medium der Erinnerung war oder sein konnte, war und ist eine offene Frage. Der Verfasser liefert hierzu, um eine Titelformulierung aus der Reihe der „Arbeitshefte“ des „Sonderforschungsbereichs 240 ‚Bildschirmmedien‘ aufzunehmen, eine Fülle von theoretisch-systematischen „Bausteinen“.
Fernsehgeschichtsschreibung als Geschichte der Fernsehprogramme und deren Inhalte, der Fernsehsendungen (‚programs‘), begann in den 70er und 80er Jahren in einem medienhistorischen Kontext, in dem bereits absehbar war, dass das neue Medium Fernsehen zum alten Medium und damit zu einem erinnerten Medium wurde. Ein „Bedarf an Mediengeschichte“ – so im Titel eines Aufsatzes des Rezensenten von 1985 – wurde von einer neuen ‚Medienwissenschaft‘ postuliert. Damit wurden die Archive in den Anstalten zu mehr als nur Produktionsfaktoren, die mit der Bereitstellung von Archivmaterial den steigenden Bedarf an Programm deckten. Der Begriff des Produktionsarchivs musste um die historische Dimension erweitert werden. Die archivierten Materialien wurden ‚Fernseherbe‘, mit dem auch außerhalb der Rundfunkanstalten produktiv umgegangen werden sollte.
Mit dem Bedarf an Fernsehgeschichte als Mediengeschichte entstand der Bedarf an öffentlicher Präsentation eben jener Inhalte, die nicht nur zu beschreiben waren, sondern auch gesehen und gehört werden sollten. Die Forderung nach einer Fernsehgeschichtsschreibung wie die Forderung nach einer ‚Deutschen Mediathek‘ also sind in einem Zwischenbereich, am „Ende der Television“ und am Beginn des Medienumbruchs zum Digitalzeitalter medienhistorisch zu verorten.
Wichtige Werke der Fernsehgeschichtsschreibung, wie die fünfbändige „Geschichte des Fernsehens in der Bundesrepublik“, die im Siegener sfb 240 (Hrsg. von Helmut Kreuzer und Christian W. Thomsen 1993 und 1994) entstanden ist, auch Knut Hickethiers „Geschichte des deutschen Fernsehens“ (1998, unter Mitarbeit von Peter Hoff) wurden schreibbar, als die buchbezogenen (Literatur-)Wissenschaften ihren Gegenstandsbereich von den „kanonischen“, zu lesenden Texten ihren Textbegriff auf audiovisuelle Texte „erweiterten“ und sich methodisch sprach- und kommunikationstheoretischen Fragen öffneten.
Voraussetzung für eine materiale Fernsehgeschichtsschreibung war ferner, dass die neue, kritische Medienkulturwissenschaft die neuen technischen Möglichkeiten selber nutzen konnte, um Programminhalte auch außerhalb des Produktionszusammenhangs aufzuzeichnen und zu analysieren. Für eine Fernsehgeschichtsschreibung jedoch war die Materialbasis der aktuellen Aufzeichnungen und der Fernsehkritik nicht ausreichend. Entscheidend für das Projekt einer Fernsehgeschichte am Ende des Zeitalters der analogen Audiovisionen war vielmehr auch der Zugang zu den Archiven der Rundfunkanstalten. Trotz der vielen Wiederholungen im Fernsehen (Kennzeichen einer „Gedächtnismaschine“) sind Sendungen epochal. Sie sind im Darstellungskontext repräsentative, im Glücksfall archivierte Vergangenheiten. Die Erinnerung des Hörers und Zuschauers ist flüchtig. Erst eine „Neue Graphie“ zur Sicherung des Audiovisuellen machte sie analysierbar, kritisierbar und damit geschichtsfähig. Jede historische Darstellung, in Buchform, also in einem noch älteren System, bedient sich einer Auswahl und konsolidiert diese einem Kanon der Ereignisse, die sie in einer Folge anordnet und ihnen damit einen epochalen Wert gibt.
Parallel gilt auch für das Projekt einer „Mediathek“: Sie muss sich auf archiviertes Material beziehen, Wertvolles auswählen und präsentieren. Im Idealfall ist der Kanon der Mediengeschichtsschreibung der Kanon der Mediathek. Möglich wurden durch die publizierten fernsehhistorischen Arbeiten auch Ausstellungsprojekte, wie „Der Traum vom Sehen“ in Oberhausen 1997/98. Dieser Prozess war und ist offen, diskutabel und erforderte eine Vielzahl auch methodischer Klärungen, die aber immer auf das Ziel einer Sicherung vergehender Erinnerungen gerichtet sein mussten und die sich stets, besonders in Zeiten des Medienwandels, einer historischen, auch wissenschaftshistorischen Situation stellten. Eben jenes neue Medium, das angetreten ist, alles zu speichern, aber auch alles ebenso schnell technisch zu vergessen, provozierte und veränderte auch die Methodendiskussion. Siegfried J. Schmidts Stichwort von der „Medienkulturwissenschaft“ aus den frühen 90er Jahren erschien als Konzept der Stunde. Das vom Verfasser eingangs angebotene Arbeitsprogramm einer „Integrativen Analyse des Gedächtnismediums Fernsehens unter medienkulturwissenschaftlicher Perspektive“ leitet sich hieraus ab. Wie dieses analytische und systematische Programm in eine historische Darstellung überführt werden konnte, dies war die Frage der Fernsehgeschichtschreibung der 80er und 90er Jahre.
Der Verfasser löst den konkreten wissenschaftshistorischen Augenblick des ‚Bedarfs an Mediengeschichte‘ und deren audiovisuelle Repräsentation in alle seine höchst unterschiedlichen wissenschaftshistorisch benennbaren Bezugswissenschaften auf. Er rekonstruiert kompendiös die kommunikations- und kulturwissenschaftlichen Methodendiskussionen und Diskursformationen der 70er bis 90er Jahre. Zu Recht reklamiert er in seiner Einleitung, dass das Verhältnis zwischen Fernsehen und Gedächtnis ein problematisches sei. Unglücklich jedoch ist seine Formulierung, dass diese Verhältnisbestimmung ein „unterrepräsentierter Forschungsstand“ sei. Meint er damit den Gegenstand oder Ausgangspunkt der Untersuchung? In der Tat gibt es – und darin hat der Verfasser wiederum das Recht auf seiner Seite – die Beobachtung, dass sich die Fernsehforschung oft eher mit sich selbst als mit dem Gegenstand ihrer Forschung beschäftigt hat, in einer Selbstreferenz, die schon an Ideosynkrasie grenzt, die sie aber mit dem Medium Fernsehen, also ihrem erklärten Gegenstand, teilt.
Nach der Einleitung beschreibt der Verfasser in Kapitel II und III systematisch (fast) alle nur denkbaren Ansätze kulturwissenschaftlicher Forschung aus Philosophie, Literaturwissenschaft, Soziologie, Psychologie und Kulturwissenschaft im engeren und weiterem Sinn, die großen und die kleinen Diskurse, welche zu jenem integrativen Analysekonzept für das noch neue Medium Fernsehen hinführten und die seit den 70er Jahren dessen grundlegende Erforschung im Blick auf Gedächtnis, Erinnerung und Geschichte – Begriffe, die der Differenzierung bedürfen – als notwendig und begründet erscheinen ließen. Gelegentlich wird man an das zum Beginn des Fernsehens in Deutschland szenisch gezeigte Goethe-Zitat „Wer vieles bringt, wird jedem etwas bringen“ (Faust, Vorspiel auf dem Theater) erinnert. Das berühmte „Vorspiel“ übrigens ist ein Archivstück, an dem sich die Fragmentierung der Überlieferung und ihr Verwertungszusammenhang im ‚Fernseherbe‘ (im Doppelsinn) paradigmatisch zeigen ließe. Leider verzichtet der Verfasser auf solche paradigmatische Analysen, obwohl er sie mit dem eingangs genannten Konzept einer analytisch verfahrenden Medienkulturwissenschaft ankündigt.
Stattdessen geht es in den Folgekapiteln um die bekannten und viel diskutierten kommunikationstheoretischen Aspekte des Fernsehens, versammelt unter dem Obertitel „Die Gedächtnisrelevanz des Fernsehens“. Es sind die systematischen und theoretischen Fragestellungen, die sich auch die Verfasser einer Fernsehgeschichte vorlegen mussten und mit denen sie ihr Vorhaben und ihr Vorgehen begründet haben, wie die Fragen nach der „Öffentlichkeit“, nach dem „Alltagsmedium“ und dem „Erinnerungsobjekt“, nach dem „Gemeinschaftsmedium“, nach der angeblichen „Überlegenheit der Bilder“, nach der „Glaubwürdigkeit“, nach der „Bildung“, der „Kunst“, und schließlich nach den Genres der Geschichtssendungen im Fernsehen. Diese zentralen Fragen weisen, verständlicherweise, eine hohe Publikationsdichte in den Medienwissenschaften (bewusst im Plural) auf. In der fünfbändigen Fernsehgeschichte des sfb 240 (1993/94), die in den Literaturverzeichnissen des ersten wie des zweiten Bandes nicht erwähnt wird, wurden sie unter anderem auch zu Untertiteln bzw Kapitelüberschriften der jeweiligen Einzelbände. Vorgestellt wurden sie auch in dem vom Rezensenten herausgebenen „Handbuch der Mediengeschichte“ (2001) – ebenfalls Fehlanzeige in den Literaturverzeichnissen. Dass weitere Ansätze kundig nachgeführt werden, ist aber durchaus auch ein Verdienst der vorliegenden Arbeit.
Dem Schluss des ersten Bandes, dass die postulierte „Krise des Gedächtnisses“, eine „Chance“ biete, kann kaum widersprochen werden. Dass sie im Kontext des Sturzes vom ‚blaugrauen Pferd‘ und des ‚unerbittlichen Gedächtnisses‘ (so in der Erzählung „Funes el memorioso“ von J. L. Borges, 1944, blaugrau ist die traditionelle Farbe der Geräte von IBM, welche 1944 den ersten ‚Großrechner‘, Havard Mark 1, herstellte), also der neuen Informationstechnologien, die nichts und aber auch alles sofort ‚vergessen‘, nicht gerade zufällig erscheint, ist ebenfalls evident. Die Frage nach dem Verhältnis der Digitalmedien (zu denen heute auch das Fernsehen zählt) zur historischen Form des Analogmediums Fernsehens, seinen konkreten Archivierungs- und Präsentationsproblemen wird aber im ersten Band, trotz seines stupenden Umfangs und seiner theoretisch-systematischen Anlage, nur ansatzweise gestellt. Der „Schluss“ ist also weniger ein Beschluss, als die Statuierung einer offenen Frage – einer Frage, deren Beantwortung der zweiten Band verspricht.
In diesem zweiten Band jedoch wird das im ersten Band eingeschlagene theoretisch-systematische Verfahren verlassen. Es wird ein weiteres, speziell empirisches Methodenparadigma eingeführt. War der erste Band auf einen ‚Forschungsstand‘ und unterschiedliche theoretische, systematische und methodische Ansätze bezogen, so beschränkt sich der Verfasser nun auf ein in der Soziologie und der Kommunikationswissenschaft bewährtes Verfahren, auf eine qualitative Analyse von Expertenaussagen. An dieser Stelle kann nicht die Frage der Relevanz dieser Methode generell erörtert werden; in der Meinungsforschung ist sie gut eingeführt und verspricht tragfähige Ergebnisse. Vorliegend wird sie kombiniert mit dem Verfahren des internationalen Vergleichs. Auch dieses Verfahren ist in den Sozialwissenschaften eingeführt. Über die Frage des dabei notwendigen Vergleichspunktes muss nicht gestritten werden. Auf beiden Seiten des „atlantic rivers“ ging es naheliegend um die Fragen der Archivierung und eines ‚Museums‘ (‚of Broadcasting‘), was immer dies heißen mag. Auch hier beginnt die Problematik mit Fragen, die kritisch auch gegen die gefragten Experten gerichtet werden können, mit den Fragen nach Archiv und Geschichte, nach einem „New Historicism“ und nach dem Interesse an Überlieferung und Erinnerung – und deren institutioneller und rechtlicher Verfassung, die allerdings höchst unterschiedlich ist.
Die Materialien für eine Fernsehgeschichtsschreibung sind (nicht ohne Eigennutz) aufbewahrt in Fernsehproduktionsarchiven im weitesten Sinne, primär zur Nutzung der ‚Broadcaster‘ selber. In den USA sehen, im Gegensatz zur deutschen Situation, die ‚Channels‘ dies nicht als ihre Aufgabe an – es ist die der „Content Provider“. Die Wissenschaft als sekundäre Nutzerin, wenn sie Kanonbildungen im Programmbereich untersucht, oder auch im Rahmen einer Programmgeschichte selber Kanonbildung betreibt, stellt ihrerseits die Voraussetzungen für die öffentliche Präsentation der archivierten Materialien (nicht nur) in musealer Absicht her. Dieser notwendige Dreischritt aber ist, so einfach und plausibel er erscheint, im Chor der befragten Experten kaum zu vernehmen. Sie vertreten jeweils ihr Eigeninteresse, was ihnen nicht zu verdenken ist.
In der Gründungsphase sowohl der Medienwissenschaft als Mediengeschichte als auch der der Medienmuseen gab es Konkurrenzen und auch Probleme im Wissenstransfer, was das Projekt einer „Deutschen Mediathek“, zentraler Gegenstand des zweiten Bandes, in der Tat nicht begünstigt hat. Wissenschaftliche Publikation ist unterschieden von aktueller Sendung und von öffentlicher Präsentation, eine Binsenweisheit. Und: Wissenschaft ist nicht nur Universitäts- hier Medien(kultur)wissenschaft. Problematisch erscheint in der vorliegende kritischen Erörterung des Projekts einer „deutschen“ Mediathek, dass sie die Träger der ‚nationalen‘ Sicherungsaktivitäten, also der Rundfunkarchive und ihrer Aufgabe im Rahmen eines Sendebetriebs, die Probleme der Archivierung selber und ihre im „Zeitalter des Digitalmediums“ anstehende „Digitalisierung“ und deren Öffnung zwar nennt, aber nicht weiter problematisiert. So wird der tiefgreifende Wandel des Archivwesens im Rahmen der Expertenbefragung nur fallweise angesprochen. Sie bezieht sich – zu Recht, wenn man das Thema dementsprechend einschränkt – auf die fatale Geschichte der ‚
„Deutschen Mediathek“, die jedoch (auch) andere als die vom Verfasser benannten Ziele anstrebte. In seiner Kritik dieser Institution in Gründung, die hier nicht im Einzelnen referiert werden kann, ist dem Verfasser oft zuzustimmen. Dass ähnliche Vorhaben in Frankreich und den Niederlanden – beispielsweise – und in den USA jedoch anders und erfolgreicher verwirklicht werden konnten, ist einer Vielzahl von Randbedingungen zuzuschreiben, die in den Interviews nur gelegentlich benannt werden. Insofern erweist sich der Expertenblick als Tunnelblick, den der Verfasser, trotz sorgfältiger und kritischer Auswertung, nicht aufweiten kann.
Der Verfasser beginnt den zweiten Band mit einer umfangreichen Darstellung eines „Status Quo“ (meint er damit einem ‚Status quo ante‘ oder einen Statusbericht?) und der Perspektiven einer „Fernseherbe-Verwaltung“. Das ist etwas spitz formuliert, und lässt offen, ob dabei auf ‚Verwaltung‘ und ‚Anstalten‘ gezielt wird, oder auf interessierte Kreise im Rahmen der Filmindustrie, oder auf die universitäre Fernsehwissenschaft. Bei den drei „Pfeilern“, angelehnt an die „Pillars“ der Kulturgeschichte, werden „Archiv“, „Bibliothek“ und „Museum“ genannt, von den möglichen Nutzern und der Wissenschaft ist nicht die Rede.
Es schließt sich eine kleine Geschichte der Versuche der Gründung einer „Deutschen Mediathek“ an, vom Schluss her gesehen wahrlich keine Erfolgsgeschichte, die ihrerseits als „Symptomatik“ klassifiziert wird. Wieder ist die Terminologie doppeldeutig: Meint der Verfasser die beobachteten (und von seinen Interviewpartnern genannten) Symptome (als (Krankheits-)Zeichen) für ein Scheitern, oder will er dieses Scheitern als typisch (für die deutsche Situation) klassifizieren? Dass es im Zusammenhang mit der „Deutschen Mediathek“ zu Parallelentwicklungen, Konkurrenzen und auch zu den in der Arbeit ausführlich behandelten Problemen kam, allerdings macht dieses Kapitel zu einem der aufschlussreichsten im Buch, gerade weil hier (auch) Beteiligte, wenn auch nicht alle, zu Wort kommen. Deren Aussagen aber müssten immer in ihrem institutionellen Rahmen, auch mediengeschichtlich gelesen werden, was der Autor unterlässt. Weithin ausgeblendet bleibt, wie im ersten Band, das Verhältnis zwischen der seit Anfang der 70er Jahre aufgebauten Fernsehwissenschaft und ihrer Fernsehgeschichtsschreibung in Deutschland. Selbst Orte möglichen Austauschs, wie die Historische Kommission der ARD, der Studienkreis Rundfunk und Geschichte, die Fachgruppe 7, Medienarchive, des Verbandes der deutschen Archivarinnen und Archivare und der Sonderforschungsbereich 240 ‚Ästhethik, Pragmatik und Geschichte der Bildschirmmedien. Schwerpunkt: Fernsehen in der Bundesrepublik Deutschland‘ der DFG an der Universität Siegen mit ihren einschlägigen Publikationen stehen nur am Rande in Rede. So wird die Publikation „Nationales Archiv für Audiovision?“ aus den „Arbeitsheften Bildschirmmedien“ (Nr. 43, Schanze 1994) dem Titel nach zitiert. Das Fragezeichen und die damit angezeigte Problemlage aber erscheint nur im Literaturverzeichnis. Obwohl der Verfasser eine Vielzahl von Institutionen und Organisationen in seinen „Fallstudien“ aufführt und darstellt, die hier nicht im Detail referiert werden können, fehlen auch Hinweise auf die sehr unterschiedlichen Wissenschaftsgeschichten in den zum Vergleich herangezogenen Kulturräumen.
Die „Bewertende Zusammenfassung“ im zweiten Band ist von den Einschränkungen geprägt, welche die Methode der Expertenbefragung mit sich bringt. Der Verfasser kann durchaus „Transatlantische Parallelen“ festhalten, Lösungen werden angesprochen und diskutiert; Gründe für das Scheitern des typisch ‚deutschen‘ Projekts, das inzwischen in der Deutschen Kinemathek in Berlin durchaus sachgerecht aufgegangen ist, werden offen benannt. Angekündigt wird, dass die Digitalmedien eine Lösung zentraler, wenn auch nicht aller Probleme verspräche. Die alten organisatorischen, institutionellen und rechtlichen Probleme aber bestehen bis heute weiter fort. Hier wären energische Konsequenzen, im Blick auch auf die kulturwissenschaftliche Medienforschung, zu ziehen.
Versucht man eine bewertende Zusammenfassung der beiden Bände, so ist hervorzuheben, dass hier ein Kompendium systematischer Fragestellungen vorliegt, die mit dem Thema „Gedächtnismaschine Fernsehen“, als System technischer Speicherung und wiederholender Präsentation von kulturellen Inhalten, verbunden werden können. Dem Gegenstand „Fernsehen“ jedoch tritt der Verfasser weitgehend ahistorisch gegenüber. Meinungen über Prozesse können nur hilfsweise die historischen Prozesse selber erklären, wenn dies überhaupt je zur Gänze möglich sein sollte. Noch komplexer wird diese Problematik, wenn es sich nicht nur um genuine Voraussetzungen wissenschaftlicher Geschichtsschreibung handelt, sondern diese Voraussetzungen auch im Kontext eines Mediums geprüft werden müssen, das selbst für den Tag und nicht für die Ewigkeit, als Agentur der Öffentlichkeit und nicht als Dienstleister für die Wissenschaft arbeitet, und das sich, gerade was die Sicherung seiner Materialien in Archiven anlangt, selber in einem medialen Umbruch befindet. Hier ist eine Zusammenarbeit zwischen den Medienwissenschaften, und den Medienwissenschaften mit ihrem Gegenstand, den Medien, gefordert, die auch dieses Kompendium nicht abschließend leisten kann. Sie ist Aufgabe nicht nur einer „integrativen Analyse des Gedächtnismediums Fernsehens unter medienkulturwissenschaftlicher Perspektive“, sondern auch einer Integrativen Mediengeschichte.
Helmut Schanze, Aachen und Siegen