Hugenottische Publizistik bis Intervision

Medienhistorisches Forum, 2. bis 3. November 2012 in Lutherstadt Wittenberg

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Die Leucorea in Lutherstadt Wittenberg war auch in diesem Jahr wieder Gastgeber für das Medienhistorische Forum, das der Studienkreis Rundfunk und Geschichte seit einigen Jahren gemeinsam mit der DGPuK (Fachgruppe Kommunikationsgeschichte und Nachwuchsforum Kommunikationsgeschichte, Nakoge) ausrichtete. Vom 2. bis 3. November 2012 trafen sich neun Absolventen und Nachwuchswissenschaftler mit Experten aus Wissenschaft und Praxis, um ihre Forschungsthemen vorzustellen sowie Probleme und Methoden kommunikations- und medienhistorischer Arbeiten zu diskutieren. Das Spektrum der angebotenen Themen war sehr (zu?) breit: von der hugenottischen Publizistik bis zur Geschichte der Intervision.

Das erste rundfunkhistorische Angebot kam von Anke Hagedorn, die an der Universität Konstanz eine Dissertation zur Geschichte der Deutschen Welle erarbeitet.1 Sie stellte einen Aspekt aus ihrem umfangreichen Thema vor: „Auslandsrundfunk als politisches Werkzeug? Die Rolle der Deutschen Welle im Entführungsfall Dr. Staewen“. Hagedorn sieht aufgrund ihrer Archivrecherchen den Fall von 1974 – Rebellen hatten den dort arbeitenden Arzt, verwandt mit dem damaligen Bundespräsidenten Heinemann, entführt und Lösegeld gefordert – als Beispiel für das Selbst- verständnis der Deutschen Welle und das Verständnis der Bundesregierung für deren Rolle. Der Auslandssender wurde vom Auswärtigen Amt mehrfach „veranlasst“, Aufrufe der Rebellen zu verbreiten und damit zum „Objekt politischer Erpressung“.

Spannend versprechen auch die Ergebnisse der Untersuchungen von Yulia Yurtaeva (HFF Potsdam) zu werden, die sich mit der Geschichte der Intervision von den Anfängen (1960) bis zum Zusammenschluss mit der Eurovision (1993) befasst. Ihre zentrale Forschungsfrage lautet: Wie stark beeinflusste die Intervision durch den Programmaustausch die Entwicklung und Gestaltung der Fernsehlandschaft in den Mitgliedsländern?

Sie will sowohl die Organisationsgeschichte der Intervision aufarbeiten als auch den Programmaustausch quantitativ und qualitativ auswerten, schwerpunktmäßig nach historisch-politisch bedeutsamen Jahrgängen. Dabei sollen ökonomische und technische Aspekte ebenso verfolgt werden wie politische Rahmenbedingungen. Auch die Institutsgeschichte der Dachorganisation OIRT will Yurtaeva einbeziehen. Alles Felder, auf denen die Forschungslage derzeit noch sehr dürftig aussieht. Auch einige Diskussionsteilnehmer hatten Probleme, da sie sich mit diesem Thema überfordert fühlten, ostdeutsch Sozialisierte waren da eindeutig im Vorteil.

Unmittelbar damit verbunden arbeitet Richard Oehmig, Doktorand am Zentrum für Zeithistorische Forschung (ZZF) Potsdam, über den internationalen Programmhandel im Fernsehen der DDR (1956 bis 1989). Seine Arbeit verfolgt das Ziel, den medialen Kulturtransfer am Beispiel des DDR-Fernsehens mit Schwerpunkt auf dem DEFA-Außenhandel aus medien- und kulturhistorischer Perspektive zu untersuchen. Sie konzentriert sich auf folgende Analysebereiche: Welche Bedeutung muss den fiktionalen Importprogrammen (Kino- und Fernsehfilm sowie Serien) beigemessen werden? Welcher Stellenwert kam dem DEFA-Außenhandel zu? Und: Leisteten die fiktionalen Importprogramme „einen Beitrag zur Infragestellung überkommener kulturpolitischer Orientierungen der DDR-Führung“?2

Die anschließende Diskussion thematisierte sowohl, inwieweit Westimporte Probleme bei der sozialistischen Programmgestaltung bereiteten als auch Konflikte zwischen DEFA und DFF sowie methodische Probleme mit Filmdatenbanken.

Rundfunkhistorische Aspekte, nun in Südafrika, berührt auch Nicole Wiederoth (Universität Düsseldorf), die das Thema „Das Bureau of Information in der Südafrikanischen Union – Bindeglied zwischen Regierung und Medien“ vorstellte. Es ist Teil ihrer Dissertation, die sich mit der Propaganda der südafrikanischen Regierung während des Zweiten Weltkriegs befasst. Wiederoth stellte fest, dass die Konzeption und Umsetzung der damaligen Regierungspropaganda sowie regierungsnaher Organisationen in der Südafrikanischen Union bislang von Wissenschaftler/innen kaum beachtet worden ist. Seit den 1990er Jahren liege das Interesse der Forschung in erster Linie auf der Aufarbeitung der Apartheidgeschichte. Zu den Propaganda-Instrumenten gehörte das Bureau of Information (BoI). Ihr Vortrag konzentrierte sich auf das BoI in der Zeit von 1939 bis 1945; sie stellte die Entwicklung der Institution und das Drei-Stufen-Modell für die Propagandaaktivitäten in der Südafrikanischen Union von Direktor Arthur N. Wilson vor. Als sie erwähnte, dass bei der Hörfunkpropaganda auch der Sender Zeesen (Königs Wusterhausen) eine Rolle spielte, fragten Forumsteilnehmer nach, wer das denn veranlasst und betrieben hätte. Geklärt werden konnte das zunächst nicht.

Andere Nachwuchsforscher stellten ihre vielfältigen Themen vor, die für Rundfunkhistoriker allerdings weniger interessant sein dürften. Robert Rudu, Universität Rostock, berichtete über seine Forschungen zum Thema „Medien des Vertrauens? Finanzzeitungen und Kapitalanlage in den Jahren des ‚Gründerbooms‘ (1871-1873)“ und erntete eine lebhafte Diskussion zur Ethik des Wirtschaftsjournalismus. Markus Wolsiffer, der zusammen mit Melanie Leidecker an der Mainzer Universität studiert, präsentierte deren BA-Ergebnisse zum Layout der „Mainzer Allgemeinen Zeitung“, Titel: „Vom Anzeiger zur Allgemeinen. Die Titelgestaltung der ‚Mainzer Allgemeinen Zeitung‘ im Zeitverlauf“. – Die Forumsteilnehmer waren überrascht, dass es sich „nur“ um eine BA-Arbeit handelt und ermunterten Wolfsiffer, weiter zu machen.

Mit der Hugenottischen Publizistik befasst sich Tanja Metzger (Universität Bamberg). Sie stellt dabei die Pressepolitik Katharinas II. von Russland und ihre Bemühungen, ein deren Intentionen entsprechendes Bild von Russland in der westeuropäischen Öffentlichkeit zu vermitteln, in den Mittelpunkt. Thema ihres Vortrags: „Hugenottische Publizistik und politischer Meinungsbildungsprozess in Europa im 18. Jahrhundert – Russland unter Katharina II. im Spiegel hugenottischer Netzwerke und ihrer Medien“.

Auf was für Ideen junge Kommunikationswissenschaftler auch so kommen können, hatte Joachim Bürgschwenter (Innsbruck) schon in seiner Themenankündigung spannend formuliert: „Offizielle Ansichten. Ein Beitrag zur visuellen Kommunikation im Ersten Weltkrieg in Österreich-Ungarn“. Wer hätte sich darunter vorstellen können, dass er sich mit Ansichtskarten befasst? Aus seiner Sicht bot sich dieses Medium an, um die Bevölkerung tagtäglich mit Bildbotschaften zu beeinflussen. Immerhin erhoben zeitgenössische Statistiken für das letzte Friedensjahr 1913 die Zahl von etwa 1,7 Millionen Postkarten pro Tag allein in der österreichischen Reichshälfte der Monarchie. Seine bisherige Beschäftigung mit Kriegsansichtskarten ergab ein sehr differenziertes Bild zwischen staatlicher Propaganda und Fürsorge.

Im bekannten Mainzer Themenspektrum bewegt sich Philipp Weichselbaum (Universität Mainz), der „Konstanten und Veränderungen in der massenmedialen Berichterstattung über Politikerrücktritte“ untersucht. Es handelt sich um eine „Längsschnittstudie zur Analyse des Strukturwandels öffentlicher Kommunikation seit 1949“. Er nimmt an, dass die seit 1949 extrem gewandelte Medienlandschaft deren Konkurrenzbeziehungen und die Art und Weise der Berichtererstattung über Politikerrücktritte beeinflusst hat. Seine quantitative Inhaltsanalyse soll sich hinsichtlich der Presse auf FR, SZ, FAZ, „Welt“ und „Bild-Zeitung“ sowie die Wochenmagazine „Der Spiegel“ und „Stern“ beziehen, für den Rundfunk auf Das Erste (ARD), ZDF, RTL und Sat.1. Diskutiert wurden vor allem die Auswahl des Samples und die verwendete Methode der quantitativen Inhaltsanalyse.

In der Gesamteinschätzung des Kolloquiums zeigte sich wieder einmal, dass Alt und Jung durchaus unterschiedlicher Meinung sein können. Während die Berichterstatterin Probleme mit dem sehr breiten Themenspektrum hatte, ließ uns einer der Teilnehmer, Richard Oehmig, wissen, dass er den Mix von Referent/innen aus unterschiedlichen Fachrichtungen als inspirierend empfunden habe. Er schrieb zudem: „Das Kolloquium in Wittenberg war für mich in methodischer Hinsicht ein besonderer Gewinn. Nicht nur in den öffentlichen Diskussionen, auch in den persönlichen Gesprächen habe ich durch die anwesenden Experten wertvolle Hinweise für meine weitere Arbeit bekommen. Dieser enge Austausch war nur möglich, weil das Kolloquium im Gegensatz zu vielen anderen Veranstaltungen auch ein gemeinsames Abendessen und eine Übernachtung umfasste. Als Anregung für die kommenden Veranstaltungen würde ich mich freuen, wenn am Anfang eine Vorstellungsrunde der einzelnen Referent/innen Platz finden könnte (das regte auch eine andere Teilnehmerin an – d.Red.) und es zudem gegebenenfalls einen kurzen einleitenden Vortrag (vielleicht in Form eines Impulsreferats) geben könnte, der grundlegende Fragen oder auch methodische Probleme kurz anspricht. Abschließend möchte ich noch bemerken, dass ich mich sehr wohl gefühlt habe und diese Veranstaltung schon an einige Kollegen/innen weiterempfohlen habe.“

 

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