Im April 2014 hatten die Intendant/innen der ARD auf Initiative der Historischen Kommission der ARD einen Beschluss zu „Regelungen über den Zugang von Wissenschaft und Forschung zum Archivgut der öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten in der Bundesrepublik Deutschland und des Deutschen Rundfunkarchivs“ gefasst.
Nach mehr als zwei Jahren fragte RuG alle (in der dem Beschluss anhängenden Liste verzeichneten) Ansprechpartner/innen in den öffentlich-rechtlichen Archiven, was dieser für ihre Arbeit bewirkt hat. In dieser Liste sind auch die Zuständigen für das ZDF und die Deutsche Welle (DW) angegeben, da beide Anstalten diese Regelungen übernommen haben bzw. bereits eingeführt hatten. Unsere Fragen: Hatte der Beschluss Auswirkungen auf Ihre Arbeit? (Nutzeranfragen, Nutzerbetreuung, interne Organisation). Wenn ja, welche? Wenn nein, womit erklären Sie das? Welche Probleme gibt es?
Für die Relevanz des Themas spricht zunächst, dass alle Angeschriebenen geantwortet haben. Begrüßt werden vor allem positive Auswirkungen für die Nutzer sowie die bessere Sicherheit für Archive, da es für die Forscher jetzt weniger Umwege bei der Suche nach Ansprechpartnern gibt. „Kurzum: Keine Probleme, es war die richtige Entscheidung“ (Jörg-Uwe Fischer; DRA, Potsdam). „Generell lässt sich eine positive Bilanz ziehen.“ (Maria Godsch, NDR). Katja Basan (MDR Fernseharchiv): „Der öffentlich zugängliche Beschluss mit den Regeln zur Nutzung der Archive ist eine große Hilfe, weil man Diskussionen um grundlegende Dinge vorbeugen kann.“ Susanne Hennings (DRA) fasst ihre Erfahrungen so zusammen: „Auf meine Arbeit wirkt sich der Intendantenbeschluss positiv aus, weil viele Nutzer aus der Wissenschaft und Forschung schon sehr viel informierter sind, auch häufiger über die Bestände in den Archiven der Rundfunkanstalten Bescheid wissen und oft bereits gut vorbereitet sind. Mir selbst hilft die Liste, da ich auch meinerseits besser in der Lage bin, Nutzern einen konkreten Ansprechpartner anderer Archive zu nennen“. Bettina Hasselbring vom BR hat allerdings nach wie vor Probleme und der Sender entsprechend reagiert: „In der internen Organisation haben wir folgende Regelung vorgenommen: Zentrale Ansprechpartnerin des BR für alle Anfragen aus Wissenschaft, Forschung und Bildung bin ich.“ Da Anfragen trotzdem immer noch an unterschiedlichen Stellen ankommen, hat der BR 2016 einen gemeinsamen Sharepoint eingerichtet.
Veit Scheller (ZDF) macht auf ein anderes, medienpolitisches Problem aufmerksam: „Neben der direkten Beantwortung der Anfragen gab es schon immer die Möglichkeit, in die archivierten Aktenbestände und Sammlungen zur ZDF-Historie selbst Einsicht zu nehmen. Externe Nutzer konnten auch vorhandene Filme bzw. Videos in einem begrenzten Maße an den eigentlich nur für interne Redaktionsrecherchen vorgesehenen Sichtungsplätzen ansehen. Diese Praxis wurde nach dem Beschluss von 2014 dahingehend ausgebaut, dass nun im Unternehmensarchiv eine eigenständige Video-Sichtungsstation existiert. An einem Punkt sind aber dem ZDF rechtliche Grenzen gesetzt: Die 7-Tage-Regelung des Rundfunkstaatsvertrages steht dem Wunsch vieler Wissenschaftler/innen entgegen, in der Mediathek die sie interessierende Sendung online ansehen zu können. Der Besuch des Unternehmensarchivs in Mainz lässt sich somit häufig nicht umgehen.“
Einige Sender haben auch organisatorische Veränderungen vorgenommen (SWR, SR, BR). Viele Archive (WDR, DRA, NDR, rbb, BR, ZDF, RB, SWR und SR, die letzten beiden mit Einschränkungen) registrieren zunehmende Anfragen. Ob das einem allgemeinen Trend zur Rundfunkforschung entspricht oder aus dem Beschluss resultiert, kann natürlich nicht nachvollzogen werden. Zwei Sender fühlen sich schon überfordert. Der WDR hat eine Online-Warteliste eingerichtet und Scheller (ZDF) konstatiert, dass das Historische Archiv betr. Anfragen an der Grenze ist. Andere registrieren hingegen wenig Interesse. Die Deutsche Welle (Michael Hafner) führt das auf ihr Profil zurück, der MDR (Birgit Leistner) darauf, dass sein Unternehmensarchiv die Bürde der „späten Geburt“ trägt. Ebenso werden aber die Archive von KIKA (Maria Georg: „Anfragen zum Programm des KIKA halten sich sehr in Grenzen“) und HR (Günay Defterli) wenig genutzt. Dort werden also (junge) Forscher/innen besonders willkommen sein.
Wer macht eine Fernsehprogrammchronik?
Die Archivarbeit wird auch dadurch behindert, dass es keine deutsche Fernsehprogrammchronik ab 1952 gibt. Diese Feststellung fand im Saal weitgehende Zustimmung, als die Autorin erste Ergebnisse der Umfrage auf der diesjährigen Jahrestagung des Studienkreises in Potsdam vorstellte. Wer macht sie? Eine neue Aufgabe für die Historische Kommission?
Deutlich wird, dass die Möglichkeiten für Wissenschaftler/innen hinsichtlich der Fernseh- und Hörfunkarchive auch vom Grad der Digitalisierung abhängen. Während Petra Witting-Nöthen (WDR) schreibt, es sei jetzt durch die Digitalisierung unkomplizierter, TV-Material zur Verfügung zu stellen, ist für Dagmar Weitbrecht und Katja Basan (beide MDR) die Benutzung des Fernseh-Archivs schwierig, weil es nur teilweise digitalisiert und der Aufwand zur Betreuung der Nutzer damit recht hoch ist.
Das ARD-Hauptstadtstudio (Wolfgang Abraham) hat ein besonderes Problem: Dort wird oft das ARD-Zentralarchiv vermutet. Die Kenntnisse über Strukturen der ARD sind wohl manchmal etwas mangelhaft. Zumindest ZDF und DeutschlandRadio (sicherlich aber auch andere) werden von Wissenschaftlern und Privatpersonen immer wieder gefragt, warum sie als Beitragszahler auch noch Geld für Kopien zahlen müssen. Andreas Schölling (DeutschlandRadio) beklagt: „Geändert hat sich Folgendes, was ich fühlen, aber nicht in der Menge belegen kann: Bei Privatanfragen, die abgelehnt werden, kommen viel öfter Äußerungen à la: ‚Als Gebührenzahler steht es mir zu, dass ich kostenlos ARD-weit Archivaufnahmen bekomme.‘ Bei wissenschaftlichen Anfragen, bei denen Aufnahmen für 30 € pro Stück überlassen werden, kommen diese Äußerungen ebenfalls öfter.“ Scheller (ZDF): „Der Wunsch nach einer Kopie wird sehr oft von Wissenschaftler/innen verbunden mit dem Hinweis, dass diese für ihre wissenschaftliche Forschung kostenfrei sind. Hier liegt ein großer Irrtum bzw. ein großes Unwissen bei vielen Medienwissenschaftler/innen vor. Da konnte auch der Beschluss der Intendanten… mit den dort genannten Kostentabellen keine Abhilfe schaffen.“
Jörg-Uwe Fischer (DRA Potsdam) wünscht sich ein gemeinsames Forum aller gelisteten Ansprechpartner für einen Erfahrungsaustausch. Scheller resümiert: „Insgesamt kann eingeschätzt werden, dass der Beschluss und die Veröffentlichung der Liste mit Ansprechpartnern aus Sicht des ZDF ein weiterer Schritt in die richtige Richtung war, dem in Zeiten einer Mediengesellschaft weitere, wohl überlegte Schritte folgen sollten. Das Knüpfen von Netzwerken zwischen den Rundfunkarchiven, den Wissenschaftseinrichtungen und den Wissenschaftler/innen sollte dabei nicht unterschätzt werden.“