Bericht zur Jahrestagung HEIMATGEFÜHLE

HEIMATGEFÜHLE. Lokale Medien in einer globalen Welt

Jahrestagung 2014 in Halle

Die Jahrestagung des Studienkreises fand dieses Jahr am 3. und 4. Juli in Kooperation mit dem Department Medien- und Kommunikationswissenschaften der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg statt. Unterstützt wurde sie auch von der 
HALESMA/A.N.D.
(Hallesche Europäische Journalistenschule für Multimediale Autorschaft/Alfred Neven DuMont) sowie von der MSA (Medienanstalt Sachsen-Anhalt). Thematisch begab sich die Konferenz in das begrifflich weitläufige Feld „Heimat“, dessen alltags- und medienkulturelle Konkretisierung vielfältigst diskutiert wurde. Raumkonzepte, Psychologie, Mediengeschichte und vor allem -gegenwart kamen hier zum Tragen. Deren diskursive und exemplarische Zusammenspiele verliehen der Tagung ein angenehm anwendungsorientiertes Flair. Was müssen Lokalmedien können? Wie heterogen sind die verwendeten Heimatkonzepte? Wie mobil, wie global, wie ubiquitär kann das Lokale sein? Funktioniert Partizipation im lokalen Medienkontext anders und sogar besser als im globalen? Welche Art von kulturellem Kapital stellen Heimat und Lokalbezug dar?

Das Konzept „Heimat“ erfährt derzeit durchaus eine Renaissance und Neudefinition. Die Bedeutung kommunaler Traditionen und lokal verankerter Kommunikation wird dabei intensiv überdacht. Radio und Fernsehen wurden von Anbeginn dazu genutzt, Vorstellungen von Identität, Zusammenhalt, gemeinsamer Geschichte und damit auch von “Heimat” aktiv herzustellen. Der Radius der Möglichkeiten ist durch das Internet noch größer geworden. Aber sind die Konzepte dadurch neu und überzeugender? Die Tagung begann daher mit einem Blick auf die Geschichte des Rundfunks und verschiedene mediale Inszenierungen von Heimat und Lokalverbundenheit. Zum Auftakt betrachtete Kai Knörr (Universität Potsdam) medienhistorisch Ursachen und Elemente der Regionalisierung des Rundfunks in Deutschland nach 1945.

Deren Beschreibung als eine elektromagnetische Utopie und die exemplarische Veranschaulichung am Wirken des umtriebigen Hessen Wolf Schmidt (Familie Hesselbach uvm.) zog einen weiten Bogen zu den Ursprüngen regional orientierter Medienkonzepte, deren Relevanz noch heute gilt. Ebenfalls medienhistorisch angelegt war der Beitrag Judith Kretzschmars (Universität Leipzig) zu Kontinuitäten und Brüchen des sozialistischen Heimat-Konzeptes in Reportagen des DDR-Fernsehens. In die unmittelbare Gegenwart hinein reichte hingegen der Beitrag Guy Starkeys (University of Sunderland), der sich mit den veränderten Bedingungen und Entwicklungen lokaler Radiostationen in Großbritannien befasste. Das Credo seines Blickes auf diese Prozesse bestand in dem nachdrücklichen Hinweis, dass es vor allem das Sprechen sei, dass den signifikanten Anker des Radios ausmache: „Speech is the friend!“ In der Konzeption lokaler Medienangebote komme es vor allem auf diese identitätsstiftenden Elemente an.

In eine ähnliche Richtung argumentierte Jan Pinseler (Hochschule Magdeburg-Stendal), der einerseits Phasen der Entstehungsgeschichte nichtkommerzieller Lokalradios (NKL) nicht nur in Deutschland skizzierte (z.B. auch Radio Alice/Italien), aber andererseits fundamental deren Partizipationspotenzial hervorhob bzw. hinterfragte. In der Tat sind viele Wissenschaftler und Journalisten mit diesem schicken Begriff immer schnell zur Hand, ohne jedoch die Bedingungen einer wirklichen Partizipation zu berücksichtigen. Diese beinhaltet nämlich auch die Beteiligung an der Verfügungsgewalt über Ressourcen. Die bloße Hör- und Sichtbarkeit vieler Mediennutzer in Kommentarfunktionen und Foren ist hierfür jedenfalls kein Beleg. Umsomehr gilt es die aktive, partizipative Arbeit lokaler Medienangebote zu stärken. Dieses Panel des Studienkreises wurde von Golo Föllmer moderiert.

Im Mittelpunkt des ersten Tagungsnachmittags standen lokale Medien als Best Practice Beispiele. Ein Speedlab, in welchem sich sechs lokale Medienprojekte vorstellten, diente als Diskussionsbasis. Eingeleitet wurde dieser, von Maren Schuster moderierte Konferenzteil durch einen Vortrag der Journalistin Anke Vehmeier, die Herausforderungen und Perspektiven des Lokaljournalismus aufzeigte. Spannend war die anschließende Vorstellung von sechs lokalen Medienprojekten, deren Macherinnen und Macher sich in Kurzpräsentationen kleinen, oftmals sehr diskussionsfreudigen Gruppen vorstellten: Wassily Nemitz (meinesuedstadt.de, Köln), Moritz Arand (3Viertel, Leipzig), Sandra Biberstein (coucoumagazin.ch, Winterthur), Sofia Delgado und Birgit Kuhn (muenchen-querbeet.de, München), Tobias Netzbandt (Jenapolis.de, Jena), Jockel Schmidt (Fleischervorstadt-Blog http://blog.17vier.de, Greifswald).

In einer anschließenden Diskussionsrunde stellten sich diese Lokalmedienmacher sowie Anke Vehmeier und Robby Braune (Leiter MZ digital, mz-web.de ) weiteren Fragen der Teilnehmer. Ein Fazit dieses Nachmittags war, dass gerade auch in lokalen Bezügen meinungsstarke Medien gewünscht werden: Leser und User suchen Positionen. Natürlich reflektierte die Runde die damit verbundenen Schwierigkeiten, aber gerade der Fleischervorstadt-Blog zeigte, wie auch unbequeme Positionierungen im lokalen Feld goutiert werden. Im Rekurs auf diese Problematik kristallisierte sich die Auffassung heraus, dass der Heimatbegriff bzw. das Heimatthema wohl deshalb konjunkturell so angesagt ist, weil die gegenwärtigen Verhältnisse nicht „heimatlich“ sind.

Zu Beginn des zweiten Tages standen unter dem Titel „Konjunkturen des Lokalen interdisziplinär“ andere Perspektiven im Zentrum des ersten Panels, das von Cordula Günther moderiert wurde. Beate Mitzscherlich (Westsächsische Hochschule Zwickau) warf Fragen und Beobachtungen zur psychologischen Konstruktion von Heimat auf, die vor allem die soziale Verfasstheit des Begriffes fokussierten. Ihr Konzept der „Beheimatung“ stellt den Versuch dar, den traditional besetzten Heimatbegriff produktiv zu erweitern und vor allem individual-psychologisch als wesentlichen Bestandteil erfolgreicher Identitätsbildung zu fassen. Stephan Günzel (Hochschule für Gestaltung Berlin) hingegen präsentierte insbesondere topologische Aspekte des Heimatbegriffes und flanierte durch raumbezogene Gedankengebäude. Reinhold Viehoff (Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg) schließlich fasste die medienwissenschaftlich-anthropologischen Implikationen dieser Überlegungen zu einem Pläydoyer für einen erweiterten Heimatbegriff zusammen.

Auch am zweiten Tag der hervorragend organisierten Tagung standen nachmittags Praxisbeispiele im Mittelpunkt. An einem Runden Tisch, moderiert von Ingrid Brück und Claudia Dittmar, diskutierten vier lokale, zumeist gut etablierte Medienmacher aus Sachsen-Anhalt, Thüringen und Nordbayern über konkrete Konzepte des Lokaljournalismus. Zunächst steuerte Wolfgang Seufert (Friedrich-Schiller-Universität Jena) einen volkswirtschaftlichen Blick auf den Zusammenhang von Lokalmedien und Finanzierungsfragen bei. Er verwies darauf, dass Sparzwänge die lokale Medienlandschaft ernsthaft bedrohen. Die höchstens kurzfristig erzielten Einsparerfolge werden durch Reichweiten- und Qualitätseinbußen absorbiert, woraus sich neue Sparzwänge ergeben. Es bleibt somit ein Teufelskreislauf.

Für konkrete Einblicke in erfolgreiche Konzepte lokaler und regionaler Medienarbeit standen an diesem Nachmittag Tom Gräbe (Radio Harz-Börde-Welle), Dietz Schwiesau (Wortchef MDR Sachsen-Anhalt), Joachim Braun (Chefredakteur „Nordbayerischer Kurier“) und Paul-Josef Raue (Chefredakteur „Thüringer Allgemeine“). Heimat zwischen Geschäftsmodell und gesellschaftlicher Teilhabe, so der Titel dieses Konferenzteils, erfährt auf der medialen Ebene gerade durch die Digitalisierung tiefgreifende Umbrüche. Alle vier Gesprächspartner beschrieben gewaltige Anpassungsleistungen an Technik und Formatentwicklungen, verwiesen aber ebenso auf einen enormen Anstieg von Bindungskräften in den jeweiligen Regionen. Vielfältige narrative Ebenen tragen hierzu bei, seien es Social Media basierte Stories beim MDR (App, MDR-Zeitreise) oder die integrierenden, lokal gut funktionierenden Radio-Angebote der Harz-Börde-Welle aus Aschersleben.

Was bleibt? Letztlich die nicht allzu überraschende, aber für den Erfolg und die gesellschaftliche Bedeutung von Medien überaus wichtige Erkenntnis, dass in der konkret lokalen Ausgestaltung der medialen Arbeit ein großes Potenzial liegt, dessen Gewicht in den kommenden Jahren weiter zunehmen wird. Die damit einhergehenden Professionalisierungsanforderungen und das individuelle Engagement bleiben dabei die entscheidenden Herausforderungen. Weitere Informationen sind der Tagungswebseite http://heimatgefuehle-tagung.de zu entnehmen. Die nächste Jahrestagung des Studienkreises ist für den 7. bis 8. Mai 2015 in Wien geplant und wird sich dem großen Themenkreis Archive widmen.

Uwe Breitenborn (Magdeburg/Berlin)

 

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