„Verwobene“ Mediengeschichten

Hans-Ulrich Wagner über ein neues Forschungsprojekt

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Ende vergangenen Jahres begannen die Arbeiten in einem neuen internationalen Forschungsprojekt, das mit EMHIS, d.h. Entangled Media Histories, überschrieben ist. Von deutscher Seite ist Dr. Hans-Ulrich Wagner, Leiter der Forschungsstelle Geschichte des Rundfunks in Norddeutschland am Hans-Bredow-Institut in Hamburg, beteiligt. Margarete Keilacker sprach mit ihm über das Vorhaben.

Zunächst bitte ich Sie um eine Begriffserklärung. Was soll man sich unter „Entangled Histories“ vorstellen?

Wagner: Es gibt aktuell eine, wie ich finde, äußerst interessante Diskussion in den Geschichtswissenschaften um „Entanglement“, also um Fragen der Verflechtung. Die Überlegungen zielen darauf ab, nicht mehr nur komparatistisch vorzugehen, also vergleichende Studien durchzuführen. Untersuchungen zu Transferprozessen werden mehr und mehr Arbeiten über wechselseitige Austauschvorgänge. Die Perspektive der Transnationalität zielt über die national geprägten Grenzziehungen hinaus. Solche Arbeiten behandeln dann Entanglement, indem sie historische Vorgänge als eng miteinander zusammenhängende Prozesse beschreiben. Die einzelnen Forscher bezeichnen dieses mal als „histoire croisée“, mal als „shared history“ oder als „connected history“. Viele komplexe Fragen stehen also hinter dem Begriff der „Entangled History“, oder wie wir im Projekt vorsichtiger formulieren, der „Entangled Histories“.

Um was geht es in dem Projekt? Wofür steht „EMHIS“?

Wagner: EMHIS steht für „Entangled Media Histories“. Dieses Projekt ist im Herbst 2013 an den Start gegangen, und wir wollen diese gerade grob skizzierten methodischen und theoriegeleiteten Fragen zum ersten Mal auch auf dem Gebiet der Mediengeschichte fruchtbar machen. Unser Ziel ist es, wenn Sie so wollen, ‚verwobene‘ Mediengeschichten zu schreiben.

Dass sich der Medienbereich geradezu ideal anbietet, liegt auf der Hand: Medienprodukte überschreiten kulturelle und nationale Grenzen; Produzenten tauschen sich aus, lernen voneinander, beziehen sich aufeinander; Mediennutzer erstellen sich ihre Weltvorstellung – also so etwas wie ihre „mental maps“ – durch eine Vielzahl von Medienkontakten; medientechnologische Entwicklungen glücken im Zusammenspiel von vielen einzelnen nationalen ‚Erfindungen‘.

Wie muss man sich das alles konkret vorstellen? Was sind Inhalte und Ziele dieser EMHIS-Forschungen?

Wagner: Das große, übergreifende Ziel habe ich soeben erwähnt und mit den Medien-Beispielen auch schon Arbeitsfelder umrissen. Konkret geht es in dem Drei-Länder-Netzwerk um zwei Punkte. Hier ist zunächst der Charakter des Netzwerkes zu betonen. Wir verstehen uns als Wissenschaftler/innen, die sich vernetzen, die regelmäßige Workshops veranstalten und die die Chance haben, sowohl einen Gastwissenschaftler-Austausch wie auch ein PhD-exchange-Programm durchzuführen. Das ist eine großartige Sache!

Deshalb wollen wir im Netzwerk und durch das Netzwerk genau solche Forschungen initiieren und selbst unternehmen, in denen Fragen des „Entanglement“ in der Medien- und in der Kommunikationsgeschichte eine zentrale Rolle spielen. Dadurch, dass wir drei nationale Perspektiven bereits selbst mitbringen, soll es möglich werden, transnationale Mediengeschichtsforschung anzugehen. Der wechselseitige Bezug von bereits versierteren und von sogenannten Nachwuchswissenschaftler/innen soll ein Übriges dazu beitragen.

Auf welchen Zeitraum ist das Projekt angelegt?

Wagner: Das Netzwerk-Projekt hat eine Laufzeit von vier Jahren. Wir haben mit einem Kickoff-Meeting im Sommer 2013 in Lund und einem ersten wissenschaftlichen Workshop im Herbst 2013 in Hamburg begonnen. Bis 2017 werden wir regelmäßig Veranstaltungen durchführen, darunter eine große Konferenz in Lund.

Wer ist an diesem Netzwerk beteiligt? Wieso gerade diese Partner?

Wagner: Es ging darum, speziell Medienhistoriker miteinander zu vernetzen. An erster Stelle sind die Kollegen von der Universität in Lund zu nennen. Patrik Lundell und Marie Cronqvist arbeiten dort im Department Mediengeschichte, sie betreuen sehr interessante und vielfältige Promotionsprojekte und sind vor dem Hintergrund der Cultural Studies ausgewiesene Kenner der Pressegeschichte, aber auch der Film- und Fernsehgeschichte.

Die Partner in Großbritannien kommen, fast muss man sagen: logisch, vom „Centre for Media History“ (CMH) an der Bournemouth University. Hugh Chignell hat das CMH dort zu einer exzellenten und renommierten Adresse für die Medienhistoriker gemacht und Kristin Skoog als „Lecturer in Media“ prägt das in Südengland entscheidend mit.

Auf deutscher Seite ist es schließlich das Hans-Bredow-Institut in Hamburg und die Forschungsstelle Geschichte des Rundfunks in Norddeutschland. Ich freue mich sehr, dass neben mir auch der Kollege Christoph Hilgert in seiner Eigenschaft als Research Fellow am Hans-Bredow-Institut beteiligt ist.

Das also sind die drei institutionellen Vertreter. Die von mir genannten Namen bilden das sogenannte Steering Committee. Um dieses herum gibt es viele weitere Mitstreiterinnen und Mitstreiter.

Worin besteht speziell der Beitrag von deutscher Seite?

Wagner: Alle drei Einrichtungen haben methodische Schwerpunkte, bringen unterschiedliche Perspektiven und Herangehensweisen ein. Das soll fruchtbar gemacht werden. Von Hamburger Seite ist es mir wichtig, bestimmte neuere Ansätze der Medien- und Kommunikationsgeschichtsschreibung einzubringen und zur Diskussion zu stellen. Das sind zum einen die Versuche, über die Geschichte von Einzelmedien hinauszukommen. Solche medienübergreifende Fragestellungen sind mir sehr wichtig. In einem Forschungsverbund an den Universitäten Bremen und Hamburg sowie am Hans-Bredow-Institut denken wir sehr stark von Medienensembles her und speziell die Kollegen am Hans-Bredow-Institut arbeiten aus Nutzersicht mit dem Instrumentarium der Medienrepertoires.

Darüber hinaus sind es sozial-, medien- und kommunikationswissenschaftliche Impulse, die aus dem breiten Strang der Mediatisierungsforschung kommen. Ich denke, hier werden zentrale Überlegungen bereitgestellt, um den Zusammenhang von Medienwandel und gesellschaftlichem Wandel zu untersuchen. Für Medienhistoriker halte ich das für eine große Herausforderung und dies sind außerdem Fragen, denen ich mich auch persönlich derzeit mit großem Interesse widme.

Wie sieht die Kooperation aus? Welche Arbeitsweisen haben sich die EMHIS-Wissenschaftler vorgenommen?

Wagner: Unsere Arbeitsweisen sind ziemlich offen und sollen das auch bleiben. Komplexe Verflechtungsprozesse zu analysieren, soll immer auch ermöglichen, die eigene Arbeit, die eigene Methode zu reflektieren und alle Grenzziehungen zu hinterfragen. Das zentrale Element sind jedoch unsere regelmäßigen Workshops, die „Foren“. „Forum 1“ in Hamburg habe ich erwähnt; unmittelbar bevorsteht „Forum 2“. Im Mai treffen wir uns in Bournemouth. Professor Andreas Fickers, ein ausgewiesener Forscher zu transnationalen Mediengeschichten, hat als Keynote-Sprecher zugesagt und wird das gesamte Treffen über mitdiskutieren.

In Bournemouth wird übrigens auch eine interessante neue Arbeitsform erprobt. Die Doktoranden treffen sich im Vorfeld zu einem mehrtägigen „writing retreat“, einer Art gemeinsamer Schreibklausur. Es wird dabei konzentriert an den Dissertationen geschrieben, jede/r für sich, aber in gemeinsamer, konstruktiver Arbeitsatmosphäre. Je nach Bedarf werden aber auch gezielt einzelne Kapitel oder methodische Probleme diskutiert – ein besonders vielversprechendes Vorgehen, da es sich ausschließlich um Doktoranden der Mediengeschichte handelt, deren jeweilige Arbeiten viele Verknüpfungen aufweisen. Alina Laura Tiews, den Lesern von „Rundfunk und Geschichte“ als Redakteurin bekannt, wird von deutscher Seite aus dabei sein.

Schließlich werden wir viele Formen des Austausches und der Zusammenarbeit pflegen. Im Herbst 2013 waren beispielsweise mehrere schwedische und britische Doktoranden für kürzere und sogar für eine etwas längere Zeit in Hamburg. Sie hatten Gelegenheit zu recherchieren und zu arbeiten, in der Hamburger „Graduate School Media and Communication“ konnten sie ihre Arbeiten vorstellen.

Und was besonders schön ist: Meine schwedische Kollegin Marie Cronqvist ist ein Jahr lang Gastwissenschaftlerin am Hans-Bredow-Institut bzw. ich muss sagen: war, denn im April/Mai kehrt sie nach Schweden zurück. Marie Cronqvist und ich schließen diesen Gastwissenschaftler-Aufenthalt gerade ab, indem wir am Institut für Medien und Kommunikation an der Universität Hamburg ein Seminar anbieten, ein gemeinsam geführtes deutsch- und englischsprachiges Blockseminar zur Mediengeschichte des Kalten Krieges. Das ist auch für mich eine neue Arbeitsform, auf die ich mich schon sehr freue.

Wer finanziert das Projekt?

Wagner: Unser Forschernetzwerk wird von der „Swedish Foundation for International Cooperation in Research and Higher Education“ getragen. Sie ermöglicht finanziell die regelmäßige Veranstaltung von Workshops und Konferenzen, sie fördert den Aufenthalt von Gastwissenschaftler/innen sowie den Austausch von Nachwuchswissenschaftler/innen aus Schweden nach England bzw. Deutschland und umgekehrt.

Speziell Hamburg verdankt das Netzwerk sein inoffizielles Logo: Der schwedische Name der Stiftung führt nämlich zum Akronym „Stint“, was bei uns in der Elbestadt zu einer sehr schönen Überschneidung mit dem kleinen gleichnamigen Fisch führt. Als ich das den Kolleginnen und Kollegen erzählte, führte das spontan zu einem sehr schönen Piktogramm, dem >. Dieses Fischchen verwenden wir seither intern bei unserer Kommunikation.

Was kann die wissenschaftliche Öffentlichkeit von EMHIS erwarten?

Wagner: Ich hoffe, wir werden der wissenschaftlichen Öffentlichkeit und speziell der Medien- und Kommunikationsgeschichtsforschung viele interessante Impulse geben können. Das werden wir auf jeden Fall in einer Reihe von Vorträgen auf den großen Konferenzen, also beim Studienkreis, der DGPuK, ECREA, der GSA und der ICA, unternehmen sowie natürlich in Publikationen. Schon jetzt kann man sich übrigens regelmäßig informieren. Seit Spätherbst 2013 pflegen wir einen Blog-Auftritt unter der Adresse http://emhis.blogg.lu.se/ und sind auch auf Facebook vertreten.

Zuletzt noch die Frage, welche Kooperationen mit dem Studienkreis Rundfunk und Geschichte können Sie sich vorstellen? Sind beispielsweise gemeinsame Tagungen geplant?

Wagner: Auf der Ebene der einzelnen Wissenschaftler/innen werden Kooperationen auf jeden Fall stattfinden. Über gemeinsame Veranstaltungen und vor allem auch über mögliche Arbeitsprojekte sollten wir in der nächsten Zeit das Gespräch suchen. Ich würde ein solches Zusammenarbeiten – in meiner doppelten Rolle als Mitglied des Studienkreises und als Mitglied des EMHIS-Netzwerkes – äußerst begrüßen und lade die Mitglieder des Studienkreises und die Leser von „Rundfunk und Geschichte“ ein, sich bei Interesse mit einer E-Mail an mich zu wenden.

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